Lurchi

 

Der Korpus der Assemblage ist ein rechteckiger Kasten, aufgeteilt in zwei gleich große Kammern, durchzogen von einer leuchtend roten vertikalen Stange. Diese klare Teilung wirkt wie ein Schnitt durch die Welt – oben und unten, links und rechts, Innenleben und Oberfläche. Auf der Oberseite begegnen uns zwei Miniaturobjekte: links ein kleines, mediterran anmutendes Haus – weiß getüncht mit roten und orangefarbenen Akzenten –, rechts eine groteske Figur mit einem eiförmigen Körper, durch den ein einziges menschliches Auge blickt. Diese Figur trägt gepunktete Ärmel und rote Stiefel. Sie wirkt wie eine Karikatur eines Humpty-Dumpty-Wesens: halb Spielzeug, halb Allegorie.

 

Unterhalb öffnet sich der Innenraum der Assemblage. Links steht Lurchi, die frühere Werbefigur des gleichnamigen Kinderschuhhefts aus meiner Kindheit: ein fröhlich grinsender Salamander in gelb-schwarzem Kostüm, mitten in einem expressiv-blauen Farbstrudel. Rechts daneben erscheint ein farbig übermalter Totenschädel mit gähnend schwarzen Augenhöhlen. Die Farben sind kontrastreich, und wirken durch ihren pastosen Auftrag beinahe körperlich.

 

Zunächst scheint "Lurchi" eine Art Mikrokosmos zu entwerfen – ein Theaterkasten des Lebens, in dem verschiedene Symbole miteinander in Spannung treten. Die naive, fast kitschige Idylle des Hauses kontrastiert mit dem seltsam beunruhigenden Blick aus dem zerbrochenen Ei. Das Ei steht traditionell für Geburt, Neuanfang, vielleicht auch für Reinheit – doch hier ist es beschädigt, durchbrochen, mit einem Auge versehen, das auf den Betrachtenden zurückblickt. Dieser Blick kehrt die Rollen um: Nicht wir sehen die Assemblage an, sie sieht uns. Es entsteht ein Gefühl des Beobachtetseins, der Unsicherheit.

 

Auch im unteren Bereich spiegeln sich Gegensätze. Lurchi steht dem Tod gegenüber. Der Totenschädel ist bunt, beinahe verspielt. Die Assemblage setzt diese beiden Figuren in Beziehung.

 

Die rote Stange in der Mitte scheint diese beiden Welten voneinander zu trennen und miteinander zu verbinden. Sie ist das Rückgrat des Werks, das sowohl physisch als auch metaphorisch eine Grenze zieht zwischen Traum und Realität, zwischen Innen und Außen. Sie wirkt wie eine Antenne.

 

"Lurchi" lädt zum Assoziieren ein, zur subjektiven Interpretation – eine psychische Topographie aus Symbolen, Erinnerungen und fragmentarischen Erzählungen.

Letztlich bleibt die Assemblage ein offenes System. Sie zeigt keine lineare Geschichte, sondern ein rätselhaftes Nebeneinander von Kindheitsidyll und memento mori, von Ironie und Ernst.

 

Heribert Heere

KÜNSTLER

Druckversion | Sitemap
© heereart