Apokalypse

Die Welt kann auf eine eindrucksvolle Liste ihrer eigenen Untergänge zurückblicken. Und auch in der Vorschau sind die diesbezüglichen Termine schon notiert, bis in die nächsten Dezennien hinein. Nicht nur den Künstler, der wie ich schon diverse Dezennien auf dem Puckel hat, juckt es da, auch sein apokalyptisches Werk in die riesige Liste der illustren Geister einzuschreiben, die die entsprechenden Visionen in Wort und Bild und – nicht zu vergessen – in Musik zu schönstem Ausdruck gebracht haben. Die Apokalypse lebt.

Dabei haben ihre Begriffsanfänge nichts „Apokalyptisches“, wenngleich sie durchaus der Dramatik nicht entbehren. „Apokalypto, ich entdecke, ich enthülle, ich offenbare die Sache, die ein Körperteil, der Kopf oder die Augen, sein kann, ein geheimer Teil, das Geschlecht, oder was auch immer da verborgen zu halten ist, ein Geheimnis, die zu verbergende Sache, eine Sache, die weder gezeigt noch gesagt, die vielleicht bedeutet wird, aber zunächst nicht dem Augenschein preisgegeben werden kann oder darf….Und das Bedeutsamste an all den biblischen Stellen, die ich wiederfinden konnte, scheint mir zu sein, dass die Geste des Entblößens oder Zeigens, die apokalyptische Bewegung hier bedenklicher, zuweilen schuldiger und gefährlicher ist als das, was daraus hervorgeht…“[1]

Derrida verweilt am Beginn seines Texts „Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Tons in der Philosophie“, aus dem ich hier zitiere, ziemlich lang bei den diversen angesprochenen Bedeutungen des Wortes „apokalypto“ insbesondere im Alten Testament, um dann nach einigen ausführlichen Einlassungen zu Kant zur Jetztzeit zu kommen, die von einem „Ende ohne Ende“ gekennzeichnet sei. Dabei geht er von „einem einflussreichen Programm des Abendlandes aus, das von den Diskursen über das Ende beherrscht wurde“:

„Ich sage Euch in Wahrheit, das ist nicht nur das Ende von diesem, sondern auch und zuerst von jenem, es ist das Ende der Geschichte, das Ende des Klassenkampfes, das Ende der Philosophie, der Tod Gottes, das Ende der Religionen, das Ende des Christentums und der Moral (was die größte Naivität war), das Ende des Subjekts, das Ende des Menschen, das Ende des Abendlandes, das Ende des Ödipus, das Ende der Welt, Apocalypse now,… und dann auch das Ende der Literatur, das Ende der Malerei, der Kunst als Sache der Vergangenheit, das Ende der Psychoanalyse, das Ende der Universität, das Ende des Phallogozentrismus und was weiß ich noch alles.“[2]

Derridas Text wurde zuerst 1983 veröffentlicht, als die neueste Stimmung im Westen noch eine ganz andere war. Das Ende des Vietnamkrieges lag erst acht Jahre zurück, das Ende der Studentenbewegung aber viel länger (spätestens 1969) und man rieb sich – immer noch verkatert – erstaunt die Augen „nach der Orgie“, wie Baudrillard in seiner Konstatierung der „Illusion des Endes“ bemerkte.

Ich begann 1973 nach den Jahren der „Revolte“ an der Münchener Kunstakademie ein Studium der Kunstgeschichte und Philosophie „weil ich mehr über Kunst wissen wollte“, mietete in Bochum, wo ich mein Studium 1979 abschloss, ein Atelier und begann dann, ernsthaft zu malen und zu collagieren, „nach der Illusion des Endes der Kunst“. Ich vermag allerdings die Umkehrung dieses Satzes, nämlich das „Ende der Illusion“ nicht für mich in Anspruch zu nehmen, ist doch die Kunst selbst in gewisser Weise eine Illusion. Weiterhin beinhaltete die Parole vom Ende der Malerei etc. immerhin noch Rudimente eines schon vom späten Nietzsche angedachten Ausstieg aus den traditionellen Kunstmedien hin zur Gestaltung der Realität, insbesondere der sozialen, was sich dann, vor allem durch das Werk von Beuys, im weltweiten Siegeszug von Installation, Performance etc. niederschlug. Damit hatte man zwar eine erhebliche Ausweitung der Medien der Kunst erreicht, bliebt aber dennoch im Sonderbereich der Kunst. Die Überführung von Kunst ins Leben war dann Aufgabe der massenhaften Aussteiger-, Hippie- oder sonstiger mehr oder weniger lebensreformerischer Bewegungen.

 

[1] Jacques Derrida, Apokalypse, Wien 1985, S. 13ff

[2] Ibid. S. 49f

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