Asket und Narr

Friedrich Nietzsche: Askese als Wille zur Wahrheit

 

"Was bedeuten eigentlich asketische Ideale" fragt sich Nietzsche in der "fröhlichen Wissenschaft".

Die Lust des Triumphs über das Leiden, über die Sinnlichkeit und selbst über die Vernunft im Gefolge der Askese wäre eine Möglichkeit, die tragisch-dionysische Welt zu überwinden. Den Willen zur Askese erkennt Nietzsche noch im abendländischen Primat der Vernunft und der Wissenschaft. Auch der unbedingte Wert der Wahrheit und das asketische Ideal scheinen ihm Bundesgenossen. Wie aber, so fragt Nietzsche, eine Alternative zum asketischen Ideal finden, damit man endlich dem „Widerwillen gegen das Leben“ entkomme?

 

Das asketische Ideal mit seinem Willen zur Wahrheit ist nach Nietzsche ein Kennzeichen eines Kulturtypus, dessen Ideal der Primat der Vernunft und des Wissens ist, vermittelt durch Logik und Dialektik. Als ersten Protagonisten dieses Kulturtyps gilt für Nietzsche Sokrates, der „angesichts dieses praktischen Pessimismus (der frühen Kulturen) das Urbild des theoretischen Optimisten ist, der in dem Glauben an die Ergründlichkeit der Natur der Dinge dem Wissen und der Erkenntnis die Kraft einer Universalmedizin beilegt und im Irrtum das Übel an sich begreift“. Nietzsche stellt auch die Vorzüge dieser sokratischen Welt heraus. So seien für den sokratischen Menschen Erkenntnis von Schein und Irrtum, der Mechanismus der Begriffe, Urteile und Schlüsse, aber auch die „erhabensten sittlichen Taten“ wie Mitleid, Aufopferung, Heroismus sowie die „schwer zu erringende Heiterkeit und Daseinsseligkeit“ der „edelste, wahrhaft menschliche Beruf“.

Dennoch beruhe die sokratisch-wissenschaftliche Welt auf einem Glauben, nämlich an den des unbedingten Willens zur Wahrheit, demgegenüber „uns keine Wahl bleibt“. Da aber „das Leben auf Irrtum. Betrug, Verstellung, Blendung, Selbstverblendung“ angelegt sei, beruhe der Wahrheitswille auf einem „lebensfeindlichen zerstörerischen Prinzip“.

 

Nietzsche will damit ein der Wissenschaft zugrundeliegendes „moralisches“ Prinzip aufdecken, das dazu führe, dass der Wissenschaftsgläubige „eine andere Welt bejaht als die des Lebens, der Natur und der Geschichte, die an sich unmoralisch seien.

Wenn nämlich der Künstler bei jeder Enthüllung der Wahrheit immer nur mit verzückten Blicken an dem hängen bleibe, was auch jetzt, nach der Enthüllung, noch Hülle bleibt, genieße und befriedige sich der theoretische Mensch an der abgeworfenen Hülle und habe sein höchstes Lustziel in dem Prozess einer immer glücklichen, durch eigene Kraft gelingende Enthüllung.

 

 

 

Perspektivismus

 

Demgegenüber ginge es um einen „Phänomenalismus und Perspektivismus“, um ein Bewusstsein, dass „unsere Welt eine Oberflächen- und Zeichenwelt ist“, ja, dass „der zeichen-erfindende Mensch zugleich der immer schärfer seiner selbst bewusste Mensch“ ist.

Doch kann damit nicht ohne weiteres auf einen irgendwie erweiterten Begriff der Wahrheit geschlossen werden. Wenn alles Oberfläche und Zeichen ist, muss notwendigerweise der Meister der Oberflächen, der Verstellung, der Masken, also der Schauspieler der moderne Typus par excellence sein. Und in der Tat hat Nietzsche „das Problem des Schauspielers am längsten beunruhigt“. Einerseits gilt dieser ihm als dekadenter anbiedernder Typus, andererseits sei gerade der dionysisch-apollinische Künstler, dessen „Artistenmetaphysik“ beinahe das Credo der „tragischen Erkenntnis“ darstellt, ein Produkt der „eingefleischten Kunst der ewigen Versteckspielens“. Die Genealogie des Künstlers wäre der „Possenreißer, Lügenerzähler, Hanswurst, Narr, Clown, Gil Blas. Denn in solchen Typen habe man die Vorgeschichte des Künstlers und oft genug sogar des Genies.

 

Und Narren sind selten Asketen, es sei denn, sie sind närrisch...

 

Giambattista Tiepolo, Die Küche Pulicnellas
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