Dionysos

Dionysos ist der Gott, der erscheint. Seine Ankunft, seine Parusie kann man in den verschiedensten Gestalten und Masken verfolgen. So ist sein Kultbild oft eine Maske, die an Bäumen aufgehängt wird; er taucht als ein hölzernes Gesicht aus dem Meer auf; er erscheint als junges Mädchen, als Stier, als Löwe, als Leopard…Doch wie soll man ihn erkennen, seine Masken durchschauen, sein wahres Wesen realisieren? Und wenn unter der Maske wieder eine Maske zum Vorschein kommt?

Damit ist Dionysos paradigmatisch der Gott der Metamorphose, der unzähligen Verwandlungen der an Metamorphosen so reichen griechischen Götterwelt

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Lykurg

 

Lykurg, der König von Thrakien, lehnt den Kult des Dionysos ab. Er betrachtet den Gott und seine Anhänger als Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung und Moral.

Als Dionysos mit seinem Gefolge, den Mänaden und Satyrn, durch Thrakien zieht, verbietet Lykurg den dionysischen Kult und verfolgt die Anhänger gewaltsam.

Lykurg geht so weit, Dionysos selbst anzugreifen. In einer Version der Sage treibt Lykurg Dionysos und sein Gefolge mit Gewalt aus seinem Land. Dionysos flieht und sucht Schutz bei Thetis, einer Meernymphe

Dionysos ruft die göttliche Vergeltung herbei. In einigen Erzählungen wird Lykurg von den Göttern mit Wahnsinn bestraft. In seinem Wahnsinn begeht Lykurg eine schreckliche Tat: Er verwechselt seinen eigenen Sohn mit einem Weinrebstock und hackt ihn mit einer Axt in Stücke. Als Lykurg aus seiner Trance erwacht, erkennt er den schrecklichen Fehler, den er begangen hat.

Lykurgs Vergehen gegen Dionysos und die göttliche Ordnung bleibt nicht ungesühnt. In einer Version wird er von den eigenen Untertanen getötet, da seine Wahnsinnstaten das Land ins Chaos gestürzt haben. In einer anderen Version wird er von wilden Tieren zerrissen.

Dionysos wird schließlich in Thrakien anerkannt, und sein Kult setzt sich durch.

 

Die Bacchen

 

In den „Bacchen“ des über 80jährigen Euripides preist der Chor preist das resignative Glück „dessen, der Mühsal und Leid überwand“ just an der Stelle, wo der als Mänade verkleidete König von Theben, Pentheus, sich anschickt, das Rasen und Toben der Mänaden, darunter seine Mutter, voyeuristisch zu beobachten, um dann im weiteren Verlauf von seiner eigenen Mutter in einem kannibalistischen Akt bei lebendigem Leib zerrissen zu werden. In ihrem von Dionysos ausgelösten Wahn hielt sie ihren eigenen Sohn für einen Berglöwen.

 

In dieser Tragödie erscheint Dionysos verkleidet als Wanderpriester seines eigenen Kults. Er wird von Pentheus gefangen genommen, der den Kult unterdrücken möchte und Dionysos verspottet. 

Pentheus ist von dem Kult der Bacchen fasziniert und zugleich abgestoßen. Dionysos überredet ihn, verkleidet als Frau in die Berge zu gehen, um die Rituale der Bacchen heimlich zu beobachten. Pentheus lässt sich von Dionysos leiten, was seine wachsende Hybris und seine fehlende Einsicht zeigt.

In den Bergen wird Pentheus von den Bacchen entdeckt, die ihn für ein wildes Tier halten. In einem ekstatischen Wahn reißen sie ihn in Stücke.

An der Spitze der Gruppe steht Agaue, seine eigene Mutter, die in ihrem Wahnsinn glaubt, einen Löwen zu töten. Erst später erkennt sie mit Entsetzen, dass sie ihren eigenen Sohn getötet hat.

Agaue kehrt nach Theben zurück und bringt Pentheus’ Kopf als Trophäe mit, bevor sie die Wahrheit erkennt. Sie wird von Dionysos aus ihrem Wahnsinn erweckt und erkennt den schrecklichen Preis für die Ablehnung des Gottes. Dionysos verkündet schließlich, dass sowohl Agaue als auch ihre Familie aus Theben verbannt werden. Das Drama endet mit einer düsteren Reflexion über die Macht der Götter und die Folgen menschlicher Hybris.

 

 

Der kommende Gott

 

Dionysos ist für Hölderlin „der kommende Gott“:

 

"Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann.

Drum! Und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn,

Wenn er in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift.

Drum an den Isthmos komm! Dorthin wo das offene Meer rauscht

Am Parnass und der Schnee delphische Felsen umglänzt.

Dort ins Land des Olymps, dort auf die Höhe Kithärons,

Unter die Fichten dort, unter die Trauben, von wo

Thebe drunten und Ismenos rauscht im Lande des Kadmos,

Dort kommt und zurück deutet der kommende Gott." (Friedrich Hölderlin, Brot und Wein)

 

Damit hat  Hölderlin in seiner großen Elegie „Brod und Wein“ die Ankunft des Dionysos angedeutet, „ein Ereignis, mit dem“ nach den Worten von Manfred Frank „in einer realen Zukunft zu rechnen ist“. In der ersten seiner „Vorlesungen zur Neuen Mythologie“ stellt Frank die allmähliche Verdrängung der olympischen griechischen Religion durch die Dionysos-Religion fest:

„Dionysos wurde der „oberste der Götter“, und auf verschlungenen Wegen sollten einige griechsche Gemeinden im göttlichen Kind der Krippe zu Bethlehem den vergeistigten Dionysos ihres Mythos wiedererkennen.

 

 

Nietzsche: Dionysos-Symbolik

 

Friedrich Nietzsche hat sich selbst als „den letzten Jünger und Eingeweihten des Gottes Dionysos" bezeichnet. Damit schuf er einen kulturell bedeutsamen Neo-Mythos, den er u.a. mit der „ewigen Lust des Schaffens“ begründete: „Das Alles bedeutet das Wort Dionysos: ich kenne keine höhere Symbolik als diese griechische Symbolik, die der Dionysien. In ihr ist der tiefste Instinkt des Lebens, der zur Zukunft des Lebens, zur Ewigkeit des Lebens, religiös empfunden“

 

Das Dionysische hat jedoch im Allgemeinen keine besonders gute Reputation. Zu sehr gelten seit langem Dionysos bzw. Bacchus (lateinisch) und die ihn begleitenden Satyrn und vor allem der Obersatyr, Silen, als weinselige, dickbäuchige Gesellen. Darauf hat man ihre Herkunft aus dem Dunkel der Geschichte als ekstatische, überbordende Naturwesen reduziert, nicht zuletzt vermittels entsprechender Kitsch-Darstellungen im 19. Jahrhundert. Aber entsprechende Bilder gab es in der Hochkunst auch. Ich erinnere an Rubens‘ Gemälde „trunkener Silen“ und „Zwei Satyrn“ in der Münchener Alten Pinakothek.

 

 

Kontinuität versus Diskontinuität

 

Dionysos ist der Gott des Weines, der Ekstase, der Verwandlung und der Unordnung, ja des Chaos. Dionysische Eigenschaften beinhalten Emotionalität, Leidenschaft, Ekstase, und eine Verbindung zum Irrationalen und Unbewussten. In der Kunst und Kultur zeigt sich das Dionysische durch Ausdrucksformen, die versuchen, die Grenzen des Individuums zu überschreiten und eine tiefere, oft mystische Erfahrung der Einheit und des Verbundenseins mit dem Universum oder der Natur zu vermitteln. Das Dionysische ist demnach das Bereich des Exzesses, der Grenzüberschreitung und einer Tendenz zur Auflösung der individuellen Identität in eine Kontinuität im Gegensatz zur Diskontinuität der einzelnen Existenz.

 

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