Inkarnation

Marie-Jose Mondzain: Inkarnation

 

„Nur das Bild kann inkarnieren“ behauptet Marie-Jose Mondzain, da „das christliche Denken zum ersten Mal eine Legitimität des Bildes“ geschaffen habe. Nicht nur habe das Christentum „das Bild von seiner tödlichen und verstörenden Potenz befreit“, sondern ihm eine „rettende, ja sogar erlösende Macht“ verliehen. Nicht nur töte das Bild sein Gegenüber nicht mehr wie die Gorgo Medusa, sondern das Bild bewirke eine „Läuterung von den Mächten der Finsternis“. Nicht mehr, wie bei den Griechen, sei es das „Wort der Tragödie, sondern das Bild, das die Gewalt all unserer Leidenschaften eindämmt“. “Da die Inkarnation Christi nichts anderes ist als das Sichtbarwerden von Gottes Angesicht, ist die Inkarnation nichts anderes als das Bildwerden des Undarstellbaren…Das Bild verleiht einer Abwesenheit Fleisch, das heißt Karnation und Sichtbarkeit in unüberwindlichem Abstand zu dem, was bezeichnet wird." (Marie-Jose Mondzain, Bild, Ikone, Ökonomie, Zürich 2011)

 

H.H., Venedig 07, Aquarell, 2007

Christus und die Maske

 

Es hat mich schon früh interessiert, was künstlerisch passiert, wenn ich meine Collage-Konzeption auf Bilder älterer Kunst mit Darstellungen des christlichen Gottes anwende. Dabei geschieht grundsätzlich das Gleiche wie bei allen Collagen. Durch das Herausschneiden aus den ursprünglichen Bildzusammenhängen kommt es zu einer Depotenzierung der ursprünglichen religiösen Bedeutung. Dabei bemühe ich mich, jede Bewertung auszuschließen. So möchte ich sowohl Blasphemie wie Affirmation unbedingt vermeiden.

Damit möchte ich nicht ausschliessen, dass meine Bilder auch theologisch rezipiert werden – und es muss dabei keine „negative Theologie“ sein. Dabei bin ich mir bewußt, dass es in der Kunst selbverständlich nicht, wie in der Philsophie, um theoretische Diskurse gehen kann, sondern um Imaginationen, die unsere Einbildungskraft ansprechen und wie jedes Bild eine Fülle von Bedeutungen, Assoziationen, Gefühlen etc. auslösen können.

Christliche Sujets heute in der Kunst zu verwenden ist wesentlich problematischer als etwa mythologische Gestaltungen, da die antike Religion seit ungefähr 2000 Jahren verdämmert ist – im Gegensatz zum Christentum, das nach wie vor zu den großen Weltreligionen zählt. Christliche Weltbilder sind schon lange nicht mehr dominant, sie haben aber bekanntlich die westliche Welt entscheidend geprägt. Dies stellt den kulturellen Hintegrund dar, vor dem meine diesbezüglichen Bildwelten sich entfalten können. Ich eigne mir christliche Gehalte nicht an, sondern ich versuche, damit künstlerisch zu arbeiten und das impliziert immer eine Offenheit.

 

Vor allem bei meinen Collagen mit christlichen Sujets ergibt sich eine Profanierung, die den ursprünglichen religiösen Gehalt transformiert, so dass er zwar immer noch vorhanden ist, aber in einem neuen anderen Zusammenhang erscheint. Damit wäre dieses Verfahren im Medium der Kunst vergleichbar etwa der Religionswissenschaft, der Kulturgeschichte und der Kulturphilosophie. Was in diesen Wissenschaften diskursiv ist, erscheint in der Kunst imaginativ mit all ihren Möglichkeiten ästhetischer Erfahrung.

 

Diese Vieldimensionalität tritt besonders in der Collage zutage, wo ich ein maskenhaftes Frauenbildnis des venezianischen Karnevals mit dem Christusbild konfrontiere. Selbstverständlich empfindet der gläubige Christ niemals die Darstellung Gottes als Maske, sondern als Wahrheit; obwohl in den frühen Religionen, Mythen und Kulten bis hin zur Antike die Maske ein bevorzugtes Medium der Erscheinung der Götter war. Bekanntlich hat das frühe Christentum jahrhundertelang um die Darstellbarkeit Gottes gerungen, teilweise auch kriegerisch im oströmischen, byzantinischen Reich. Schließlich siegten die Bilderfreunde mit ihrem Konzept der Inkarnation, also der „fleischlichen“ Imaginierung eines an sich transzendenten göttlichen Körpers, ohne die die gesamte christliche Kunst des Abendlandes nicht denkbar wäre.

Die Maske selbst  war aber konstitutiv für das Problem der Darstellung Christi zumindest im frühen Christentum. So wurde tatsächlich diskutiert, ob nicht entsprechend der Zwei-Naturen-Lehre, nach der Christus gleichzeitig sterblicher Mensch und Gott ist[2], die menschliche Gestalt nicht so etwas wie eine Maske sei, hinter der sich der Gott verbirgt. „Der Denkansatz, dass Christus zwei niemals sonst vereinbare Naturen in sich getragen haben soll, wie der Schauspieler seine Maske trägt und in ihr eine Rolle darstellt, ist bereits erstaunlich genug in einem theologischen Diskurs.“(Hans Belting) 

Obwohl „Christus ein Einziger war“ fährt Hans Belting fort, könnte man sagen, Christus trug „im Menschsein die Maske Gottes“. Deshalb sei seit dem 6. Jahrhundert die Idee der „authentischen Bilder“ aufgekommen oder der „Vera Ikon“, die auf einen Abdruck zurückgingen, wie ihn nur echte Körper auf einer Textilie hinterlassen können. So entstand die bildnerische Tradition des sogenannten Mandylions, das eigentlich eine Maskendarstellung ist.

 

 

Mandylion

Mandylion, 13. Jh.

 

Bei dieser Bildtradition verwandelt sich die Maske gleichsam in das lebende Gesicht zurück, von dem der Abdruck abgenommen wurde. Bild und Abbild waren schon bei Paulus ein Thema: Im Hebräerbrief umschreibt Paulus dieses Verhältnis als Abdruck, wie man ihn vom Siegel- oder Stempelgebrauch kannte, nach denen man Bilder druckte. Der Sohn ist der „Abglanz“ des göttlichen Glanzes. Der Gottessohn wäre damit ein Bild des Vaters.

 

Es geht also um die Macht der Bilder. „Die Macht des Bildes liegt nicht in seinem Anblick, sondern in seiner Präsenz.“ meint Regis Debray. So gelten bestimmte Ikonen und frühe Bildwerke selbst als heilig, auch wenn die Kirche gegenüber solchen Sakralisierungen der Bilder, wie sie etwa in den berühmten Wallfahrtsorten anzutreffen sind, immer misstrauisch war, witterte sie doch die Gefahr der Idolatrie. Es sei eben Gott, der durch das Bildwerk hindurch spricht. Hier stellen sich die Assoziationen zur Maske und zum Theater ein, war doch der lateinische Begriff für die Theatermaske "persona", deren Etymologie man im "personare" („hindurchtönen“) sieht. In der Frühform des Theaters war es Dionysos selbst, der durch die Maske „hindurchtönte“.

 

griechische Theatermaske

Regis Debray: Götzen

 

Regis Debray kann die Postmoderne nur als einen neuen Archaismus, als einen neuen Primitivismus begreifen: „Ein autorenloses und selbstreferentielles Bild bringt sich automatisch in die Position eines Götzen und uns in die von Götzenverehrern, die versucht sind, es direkt zu bewundern, anstatt mittels des Bildes der gezeigten Wirklichkeit die Ehre zu erweisen. Die christliche Ikone verweist in übernatürlicher Weise auf das Sein, dem sie entspringt, das Kunstbild re-päsentiert es in künstlicher Weise, das direkt gesendete Bild zeigt sich in natürlicher Weise als das Sein selbst.“(Regis Debray, Jenseits der Bilder)

Dabei sei „die neue Gottheit“ via Bildschirm „die Aktualität“, die „bis zu ihrem Ende vollzogene Inkarnation“, die in Debrays Sicht vom ehemals christlichen Gott sich ausgeweitet habe zur Gegenwart an sich. Die Kunst sei dabei nur ein Zwischenspiel zwischen zwei Götzendienereien. Die erste auf Grund eines Überschusses an Transzendenz; die zweite, unsere eigene, aus einem Mangel daran.

Auch wenn diese Sicht etwas verkürzt ist, zeigt sie doch eine Verbindung zwischen dem scheinbar referenzlosen autonomen Bildwerk der Moderne und dem religiösen Bild des frühen Mittelalters, wie etwa dem Mandylion.

 

 

Transformationen

 

Bei früheren Kulturen sind die Kunstwerke oft das Einzige, was auf uns gekommen ist. Es ist aber ein Unterschied, ob solche Kunstwerke selbstverständlicher Bestandteil des Ritus, des Mythos, der Religion etc. sind oder ob sie letztere als Bestandteil der Kultur selbst thematisieren. Bei sprachlichen Werken wird der Unterschied deutlicher. Sofern lautliche Äußerungen kultischen und rituellen Charakter haben, sind sie Teil der jeweiligen Kultur, auch wenn sie, z.B. bei Tänzen und Gesängen nie nur sich selbst bedeuten, sondern auf etwas verweisen, z.b. auf kosmologische Zusammenhänge, die sie selbst darstellen. Wenn nun die Entwicklung der Sprache zur schriftlichen Fixierung vollzogen ist und z.B. dazu benützt wird, solche kosmologischen Vorstellungen schriftlich zu fixieren, etwa in Heldenepen, wie dem Gilgamesch-Epos, der Mahabharata, oder der Ilias und Odyssee, dann wird diese Kultur zum Teil abgebildet, reflektiert, also in ein Medium transformiert. Solche Transformationen haben keine profanen Zwecksetzungen wie Inventare oder juristische Prozesse aufzuzeichnen, sondern interpretieren und formen religiöse, politische, wirtschaftliche und andere gesellschaftlichen Strukturen. Sprachliche Narrative, Bildwerke und Architekturen werden nun zu einer Art Organon zur Kultur.

 

Echnaton: Monotheismus

König Echnaton, Königin Nofretete und drei Töchter

 

Sie können sogar dazu verwendet werden, diese Kultur zu revolutionieren, wie die monotheistische Wende durch den ägyptischen Pharao Echnaton, die zwar faktisch scheiterte, jedoch ein unauslöschliches Datum in der Kulturgeschichte hinterlassen hat. Indem Echnaton neue Tempelanlagen und sogar eine neue Stadt schuf, benützte er Bildwerke zu einem intendierten kulturellen Wandel. Diese haben damit nicht nur ihre jeweilige Bedeutung, in diesem Fall die Apotheose eines monotheistischen Gottes, sondern verdeutlichen und propagieren einen kulturellen Wandel. Damit tritt ein Riss, eine Distanz innerhalb der Lebenswelt auf: Die jeweilige Kultur wird thematisiert, indem das ihr Andere, eben eine neue religiöse Welt zur Darstellung kommt

 

 

Sigmund Freud: Sublimierung

 

Kultur war noch nie ein kompakter Bereich, der seine Segnungen über die Teilnehmer ausgoss, sondern immer umkämpft, heterogen und oft alles andere als allgemein akzeptiert war. Ein Grund dafür dürfte daran liegen, was Sigmund Freud „die Verweigerung der Sättigung unserer Bedürfnisse“ zugunsten der höherwertigen Ziele der Kultur bezeichnet. Eine Möglichkeit sei, die „Ziele zu ermäßigen durch Beherrschung des Trieblebens“[11] Dies bezahle man mit einer deutlichen Verminderung des Glücksgefühls. Fein heraus sei dagegen der Künstler und der forschende Wissenschaftler, deren Tätigkeit die Aufgabe löse, die Triebziele solcherart zu verlegen, sie also so zu „sublimieren“, dass die Triebziele von der Versagung der Außenwelt nicht getroffen werden können. „Die Befriedigung solcher Art, wie die Freude des Künstlers am Schaffen, an der Verkörperung seiner Phantasiegebilde, die des Forschers an der Lösung von Problemen und am Erkennen der Wahrheit, haben eine besondere Qualität…“ Unter die letztere Kategorie dürfte Freud selbst fallen. Hinzufügen müsste man bei der Freude des Künstlers auch sein Leiden an einem missglückten Werk und vor allem über mangelnde Anerkennung.

 

Michelangelo, Moses

 

Doch nicht nur der Künstler vermag hohen Genuss aus diesen „Phantasiebefriedigungen“ zu ziehen, auch den „nicht selbst Schöpferischen vermag die „milde Narkose“, in die „uns die Kunst mit ihrer Lustquelle und Lebenströstung“ versetze, eine „flüchtige Entrückung aus den Nöten des Lebens herbeiführen.“ Allerdings sei sie „nicht stark genug, reales Elend vergessen zu machen.“ Freud selbst hat dabei sicher in erster Linie an die klassische griechische und römische, aber auch die Renaissance-Kunst gedacht, die er in einigen Reisen nach Rom studierte und genoss. Immer wieder dienten ihm Kunstwerke als Inspirationsquelle und Anlass für einen seiner berühmten Essays: „Der Moses des Michelangelo“, das eine Selbstdarstellung in nuce ist. Ob auch Beispiele moderner Kunst. ihm Anlass zu solchen Befriedigungen gab, ist, soviel ich weiß, nicht bekannt.

Die erweiterte Perspektive auf die ästhetische Moderne soll zeigen, dass die Semantik von Mythos und Monotheismus im frühen 20. Jahrhundert Teil einer langen, um 1800 beginnenden und bis heute reichenden Traditionslinie ist.[12]

Druckversion | Sitemap
© heereart