Cuncta fluunt, omnisque vagans formatur imago.
Alles ist im Fluss, und jedes Bild wird gestaltet, während es vorübergeht.
Ovid, Metamorphosen, 15.178
Alles ist Metamorphose
Aby Warburg
Metamorphose ist Weltauslegung. Auslegung heißt jedoch keinesfalls Reduzierung auf uns allgemein begreifbare und plausible Zusammenhänge, sondern vielmehr Aufzeigen des Irreduzierbaren, des Rätselhaften und damit Beunruhigenden. Das bedeutet jedoch nicht Verdunkeln, Verunklären oder Hinein-Geheimnissen, sondern im Gegenteil ein Klären, ja sogar Verklären dieser Rätselhaftigkeit.
Die Auslegungen sind nicht beliebig. Auch der Künstler kann – im Gegensatz zu einem geläufigen Vorurteil – nicht machen, was er will. Und dennoch, fasst man den Willen als übergeordnet, nicht bloß im Sinne purer Willkür, so ist dieser in einem schwer fassbaren und Sinne der Persönlichkeit zugeordnet (also keine metaphysische Wesenheit, wie bei Schopenhauer). Die Kunst legt nicht nur die Welt aus, sondern schafft auch – Welten. Im Werk allemal. Aber möglicherweise auch im Blickfeld des Betrachters. So entsteht ein Dialog – nicht über Farben und Formen, über Linien und Flächen (darüber vielleicht auch), sondern über „Lebenswelten“. Und über Natur: einerseits über die Natur außerhalb von uns, aber auch über uns selbst, die wir auch „Natur“ sind.
Lust des Werdens
Nietzsche hat besonders auf „die ewige Lust des Werdens“[1] hingewiesen, die, über die aristotelische Katharsis hinaus, ein „Ja-Sagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten uns härtesten Problemen“ beinhalte. Uns heutigen mag die Lust daran vergangen sein, besonders wenn man selbst davon betroffen ist.
Gilles Deleuze hat diese „ewige Lust des Werdens“ vor allem im „Wunderland“ von Alice „hinter den Spiegeln“ aufgespürt [2]. Wie viele Künstler hat auch mich die famose, wirklich-unwirkliche, geniale Alice zu collagistischen Arbeiten angeregt (zusammen mit den Caprichos von Goya).
Bei Bildern kann immer alles simultan erfasst werden kann. Daraus resultiert eine Gleichzeitigkeit des Werdens, die die Trennung von Vorher und Nachher, von Vergangenheit und Zukunft ignoriert.
Deleuze leitet daraus das Paradox „des Wesens des Werdens, in beide zeitliche Richtungen gleichzeitig zu verlaufen“, ab, das jedem „gesunden Menschenverstand“ widerspreche. Die Metamorphosen lösen Identitäten auf, bilden neue, temporäre und zerstören diese wieder. Man kann deshalb nicht mehr von einem irgendwie feststehenden, eigentlichen Substrat sprechen, das eben in vielerlei Gestalt erscheint. Damit wird aber auch die für das Denken des Westens konstitutive Unterscheidung von Schein und Sein problematisch.
Trugbild (Simulakrum)
Wir verdanken Deleuze die Erörterung der grundlegenden Differenz zwischen Urbild/Ebenbild und Trugbild/Simulakrum. Er zeigte, dass die folgenreiche Abwertung der bildnerischen Kunst durch Platon sich nur auf das Trugbild (phantasma) und nicht auf das Ab- oder Ebenbild (eidos), die die Idee oder das Urbild repräsentiert, bezieht.[3] Dem Trugbild gelten Platons negative Bestimmungen: Abbild eines Abbildes, unsicheres, vages, phantastisches Gaukelspiel, das den Menschen verwirrt und ihn, so Platon, von seinem Ziel, dem absolut Guten, abzubringen versucht. Somit handelt es sich bei dieser Unterscheidung um „zwei Lesarten der Welt. Die erste definiert exakt die Welt der Abbilder oder Repräsentationen; sie setzt die Welt als Ikone. Die Zweite definiert dagegen die Welt der Trugbilder. Sie setzt die Welt selbst als Phantasma.“[4]
Während in der platonischen Welt die Unterscheidung Wesen – Erscheinung zentral ist, geht es in der Welt der Trugbilder, die für die Moderne konstitutiv ist, um die Gleichwertigkeit bzw. Nicht-Unterscheidbarkeit von Original und Abbild, von Modell und Repräsentation. Die neue Identität ist eine der Serien und der Ähnlichkeit. In ihr gibt es eine Identität der Differenz und damit der Simulation. Letztere kann weder als Schein noch als Illusion bezeichnet werden. Die Simulation ist das Phantasma selbst. Sie funktioniert als „dionysische Maschine“.
Bezogen auf die platonische Welt mit dem Höhlengleichnis als ihrem Erkenntis-Paradigma könnte man sich mit Nietzsche fragen, „ob nicht hinter jeder Höhle eine noch tiefere liege, liegen müsse – eine umfänglichere, fremdere, reichere Welt über einer Oberfläche, ein Abgrund hinter jedem Grunde, unter jeder Begründung“ [5] Statt Hierarchien also Faltungen, Schichtungen, Reihungen, Differenzen, „Rhizome“, Netze, „Schäume“, Collagierungen…Hinter jeder Maske gibt es noch eine weitere.
Im Hinblick auf die Macht des Trugbildes muss die Moderne vielschichtig, komplex und vor allem selbst als Paradox begriffen werden. Man muss nicht um jeden Preis „modern sein“ (wie es apodiktisch von Rimbaud gefordert wurde), es geht vielmehr um das, was Nietzsche „das Unzeitgemäße“ genannt hat, nicht im Sinne der diversen Neo-Konservatismen, sondern um Trugbilder, die, an die Spitze getrieben, wieder zur „Natur“ werden und umgekehrt.
Auch Natur hat kein unveränderliches Sein. Stattdessen „dieses und jenes: Abwechslungen und Verflechtungen, Ähnlichkeiten und Differenzen, Anziehungen und Zerstreuungen, Nuancen und Schroffheiten“.[6] Die Natur ist ein „Harlekinmantel“ mit Lücken und Vollständigkeiten, mit Dasein und Nichtsein, eine Summe von Unteilbarkeiten.
Einbildungskraft und Wahrheit
Diese 2 1/2 tausendjährige Fehldeutung der Rolle des Bildes als Favorisierung des Ab- bzw. Ebenbildes und Verwerfung des Simulakrums, beginnend bei Platon, hatte natürlich massive Folgen für die Geschichte der Einbildungskraft (phantasia), sei sie nun sinnliche Erkenntnis oder bloßes Gaukelspiel.
Es erscheint fast müßig, als Künstler ein Lob der Einbildungskraft zu singen. Mein Konzept der Collage ist ohne ein gehöriges Maß an Phantasie nicht möglich. Damit kommt der Zufall ins Spiel. Trotzdem erscheint es schon paradox, dass gerade die Moderne mit ihren unzähligen Manifesten, wie keine Epoche vor ihr, die jeweils absolute Wahrheit proklamierte – und als letzten Höhepunkt "pure painting" des abstrakten Expressionismus. (Robert Motherwell, Pure Painting, Ausstellungskatalog 2023)
Das bedeutet natürlich nicht, dass alles beliebig ist. Giorgio Agamben geht sogar soweit, festzustellen, dass das beliebige Sein nicht nur „gleichgültig, egal welches“ bedeutet, sondern vielmehr „das Seiende, das allgemein beliebt“.[7] Als solches ist es mit dem Begehren verbunden, denn die Liebe will das singuläre Sein, so wie es ist, also weder Teile davon noch ihre „fade Allgemeinheit“.
Für den Künstler bedeutet Beliebigkeit nicht nur ein Maximum an Möglichkeit, sondern vielmehr genau das, was er mag und will. Trotzdem bleibt eine gewisse Wehmut (die sich sogar bis zur Verzweiflung steigern kann) über die verlorene und niemals mehr erreichbare vermeintliche absolute Wahrheit. Vielleicht lassen sich meine Collagierungen von Details aus früheren „wahren“ Welten, wie Religion, Schönheit etc. als ein Spiel mit Absolutheiten begreifen, das allerdings kein Selbstzweck ist (obwohl dies gar nicht so schlecht wäre), sondern auf etwas hinausläuft, was man als die „Macht der Einbildungskraft“ bezeichnen kann.
Die oft, auch von prominenter Seite, vertretene Meinung, „Kunst sei Lüge“ setzt voraus, dass es eine „Wahrheit“ gebe. Wenn es aber keine Wahrheit gibt, kann es auch keine Lüge geben oder, um mit Nietzsche zu sprechen „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht? ... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“[8]
Mir scheint, es bleibt uns nichts anderes übrig, als an der Re-fabulierung der Welt zu arbeiten!
[1] Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Alt 5
[2] Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Vom reinen Werden, S. 15ff, Frankfurt 1993
[3] Ibid., Platon und das Trugbild, S. 311ff
[4] Ibid., S. 320
[5] Friedrich Nietzsche
[6] Deleuze, Logik des Sinns, Lukrez und das Trugbild, S. 325f
[7] Giorgio Agamben, Die kommende Gemeinschaft, Beliebiges, S. 9f, Berlin 2003
[8] Friedrich Nietzsche, Wie die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wurde, Götzendämmerung
Metamorphose und Wiederholungszwang
Da es das Prinzip meiner Collage-Arbeit ist, vorgefundenes Bildmaterial neu aufzubereiten, notwendigerweise dem Prinzip der Wiederholung, die durchaus obesessionellen Charakter annehmen kann, verpflichtet ist, stellt sich die Frage nach dem Wiederholungszwang. Bekanntlich hat Freud den Wiederholungszwang als „ursprünglicher, elementarer, triebhafter als das von ihm zur Seite geschobene Lustprinzip“ charakterisiert[1].
Ausgehend von Angstträumen, die das schreckliche Erlebnis immer wieder reproduzieren und von Kinderspielen, wo das Gleiche immer wieder mit lustvoller Triebbefriedigung nachgespielt wird, hat Freud die bis heute umstrittene These aufgestellt, dass der Wiederholungszwang der Abkömmling eines „Todestriebes“ sei, welcher bei seinem unerbittlichen Bestreben, die Reizspannung herabzusetzen (was Ziel jeglichen Lustgefühls wäre) das Lebendige in den Zustand des Leblosen, des Anorganischen zurückbringen möchte. Schon Freud selbst hat den pessimistischen Charakter dieser These gesehen.
Der Wiederholung wohnt also immer ein dämonisches Moment inne, was etwa in den Mythen und Märchen vom todbringenden Doppelgänger, vom Schatten und vom verhängnisvollen Spiegelbild zu Ausdruck kommt. Insofern eignet auch der künstlerischen Wiederholung, der Kopie, der Paraphrase, der Parodie, dem Zitat etc. immer sowohl ein "Faszinosum wie auch ein Tremendum". Nicht umsonst stammt letztere Begrifflichkeit aus der Religionstheorie, die damit das frühere Heilige charakterisierte[2]. Sollte also der heutigen „Bilderflut“, die auf dem Prinzip der Simulation und unendlichen Kopierbarkeit beruht und gerade wegen ihrer unerbittlichen Sucht nach Neuem das Immer-Gleiche intendieren muss, ein lustvolles, dennoch zwanghaftes Todesmoment innewohnen?
Und wäre die Postmoderne da, wo sie dem esoterisch verpflichteten Hang eines Teils der klassischen Moderne nach dem absolut letztlichen, reinen, immateriellen Geist-Prinzip widerstreitet, im Gegenzug durch ihre spielerisch-lustvolle, „ernste Parodie“ der Massenkultur und ihrer Vision, selbst einmal Teil dieser zu werden, vom Regen in die Traufe, sprich vom absolut jenseitigen zum absolut diesseitigen Leblosen, ja Toten gekommen? Jedenfalls sind diese fatalen Fragen inzwischen von avancierter Kulturtheorie aufgenommen worden und sogar im anspruchsvollen Feuilleton angekommen. So stellt Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung vom 24.11.2009 fest, dass hinter dem „bequem rezipierbaren kritischen Gedankengut der Moderne ein religiöses Motiv“ manifest wird, das zu einer „Theologie ohne Kirche“ gehöre.[3] Gerade deshalb, meint Christoph Türcke (auf den sich Steinfeld u.a. bezieht), konnte der „ästhetische Fundamentalismus“ der Moderne „eine geistige Produktivität entfachen, die sich auf theologischem Gebiet nicht mehr einstellen will“.[4]
Die „Erfindung“ der modernen malerischen Transparenz ist wohl Francis Picabia zuzuschreiben. Seine Bilder mit teilweise als Kontur übereinandergelagerten, von ihm auch so genannten „Transparenzen“ der 20er und 30er Jahre verwirklichen in der Malerei das, was Duchamp noch früher mit seinen Ready-mades realisierte: das Herausnehmen der Gegenstände aus ihrem gewohnten Zusammenhang und Wiedereinfügen in ein Kunstambiente, sogar manchmal fast ohne jegliche sonstige Manipulation durch den Künstler. Bei der Malerei als Ready-made werden Bildteile aus ihrer ursprünglichen Umgebung genommen, z.B. aus Gemälden der klassischen Malerei und neu kombiniert, bzw. überlagert. Damit werden aber die ursprünglichen Bildteile etwas ganz Anderes, selbst wenn sie auch nach ihrer wunderbaren Verwandlung als malerisches Ready-made genauso wie früher aussehen, etwa mittels fotorealistischer Technik. Man könnte fast von einer ästhetischen Transsubtantiation sprechen. Nur dem Anschein nach handelt es sich hierbei um eine Wiederholung; in Wirklichkeit um eine Verwandlung in semantisch frei flottierende Zeichen. Der Signifikant wird gegenüber dem Signifikat radikal aufgewertet. So handelt es sich bei meiner Arbeit nur scheinbar um einen Wiederholungszwang, nur scheinbar um Bildzitate, sondern um Malerei und Collagen als Ready-made, um eine „ästhetische Transsubtantiation“, um eine ewige Metamorphose.
Kultur
In dieser neuartigen Wiederholung scheint mir sogar eine ethische Dimension zu liegen. Durch die Herausnahme von Bildteilen aus der Massenkultur und ihre transparente Überlagerung z.B. mit Teilen klassischer Bilder, durch ihre Verwandlung mittels Wiederholung könnte ein „therapeutischer“ Effekt entstehen, wie ihn Türcke im Wiederholungszwang des frühen kultischen Opfers beschrieben hat: „durch die Wiederholung des Schrecklichen soll Unerträgliches erträglich gemacht werden“[5]. Man braucht kein Kulturpessimist zu sein, um gewisse Auswüchse der Massenkultur als ziemlich schrecklich zu empfinden – gleichwohl ginge es einer Kunst der Postmoderne darum, mittels kultureller Ready-mades den ästhetischen Fundamentalismus eines Teils der klassischen Moderne durch einen lebensweltlichen Eklektizismus zu transformieren. War es schon schwer genug, die Kluft zwischen traditioneller Avantgarde und Publikum durch eine immer diffiziler werdende überbordende Reflexion von bestallten wie freien Theoretikern, Kritikern, Kuratoren und nicht zuletzt von Künstlern versuchen zu überbrücken, so dürfte es noch schwerer sein, die Erwartungshaltung gegenüber nach-moderner Kunst zu bilden, da letztere oft eine Dekonstruktion der Haltung gegenüber traditioneller Avantgarde ist, indem sie teilweise auf vor-moderne Sehweisen zurückgreift.[6]
[1] Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips, in: S.F. Das Ich und das Es, Frankfurt 1992
[2] Rudolf Otto, Das Heilige, München 1963
[3] Thomas Steinfeld, Totale Innerlichkeit, SZ, 24.11.09
[4] Christoph Türcke, Fundamentalismus – Maskierter Nihilismus, Hannover 2003, S. 81
[5] Türcke, Fundamentalismus, S. 29
[6] s. P. Sloterdijk, Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, Fft, 87
Alles, was wir erleben, ist Metamorphose"
Aby Warburg
Metamorphose der Formen
Der französische Kunsthistoriker und Philosoph Georges Didi-Huberman beschäftigt sich in seinem Buch „Formlose Ähnlichkeit“, deren Untertitel den programmatischen Anspruch umreißt: „Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille“ mit einem bis dato wenig beachteten Werk von Georges Bataille: den Texten und Bildern der Zeitschrift „Documents“ und dort insbesondere mit dem „Kritischen Wörterbuch“, für die Bataille als Autor und Herausgeber (zusammen mit Michel Leiris, Carl Einstein und anderen) in dem kurzen Zeitraum von 1929 bis 1930 arbeitete.
Laut Didi-Huberman geht es Bataille (und den anderen Autoren) dabei um nichts Geringeres als um eine METAMORPHOSE der Formen. Diese erscheint in den Fotografien in den „Documents“, die von der Ethnographie über die Kunstgeschichte bis hin zur damaligen Alltagswelt und den Anfängen einer modernen Massenkultur und – Arbeiten der damals aktuellsten modernen Künstler, wie Picasso, Masson oder Eisenstein reichen und sogar auch Kinderzeichnungen umfassen:
"Hier wuchern also die Bilder – Bilder aller Art –, und mit ihnen die Berührungen, die Beziehungen, wobei Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, Evidenzen und Nichtevidenzen sich mischen: Tafeln mit Gebieterinnen und Instrumenten, Architekturfotografien und Kinderzeichnungen, antike Münzen und Jazzorchester, mittelalterlicher Schmuck und anatomische Bildtafeln, Zootieren und Schlachtvieh, Totempfähle und Hollywoodstars, berühmte Kalligraphien und rätselhafte Graffiti, mythologische Ungeheuer und Comics, Monumente und Organe, moderne Kunst und Tarotkarten, am Strand gefundene Steine und neapolitanische Krippen, Museumsarsenale und Gerichtsfotografien, antike Statuen und wilde Stämme, illuminierte Handschriften und Gürtelschnallen, Votivgaben und Puppen, Blumen und Partituren, Schädel und Masken, und so fort." schreibt Didi-Huberman.
Diese summarische Aufzählung scheint auf den ersten Blick wie ein krudes Sammelsurium einer modernen Wunderkammer oder Ordnungen des puren Zufalls wie bei Borges, dessen phantastische „Enzyklopädie“ Foucault eine Erwähnung in seinem berühmten Vorwort zur „Ordnung der Dinge“ wert war. Foucaults „Ortlosigkeit der Sprache“, dieser „Platz des Unmöglichen“, wo einzig diese monströse Ordnung realisiert werden kann, lässt sich bei den bildnerischen Collagen und Montagen auf den imaginären Ort der Bildfläche übertragen, in der die phantastischsten Geschöpfe und Ordnungen ihr irrlichterierendes, obskures Wesen treiben.
Didi-Huberman macht klar, dass Batailles „Formlosigkeit“ keinesfalls Nicht-Form meint, sondern ein „Hin-und-Her“, ein „Auf-und-Ab“, letztlich eine Übersteigerung, eine Überschreitung der Formen reklamiert, um einen von Batailles wichtigsten und oft missverstandenen Termini zu gebrauchen. So unterstellt er in dem Artikel „Formlos“ , dass dieses Adjektiv nicht nur einen allgemeinen Sinn, sondern auch eine „Verrichtung“, also eine tendenziöse Bedeutung, habe, die der „Deklassierung diene“ im Sinne einer „allgemeinen Erfordernis, dass jedes Ding seine Form hat“. Die Formlosigkeit, fährt Bataille fort, habe keine Rechte; man könne sie zertreten wie eine „Spinne oder einen Wurm“ und die ganze Philosophie habe „kein anderes Ziel, als alles in einen mathematischen Reitmantel zu stecken“. Im Gegensatz zu den akademischen Menschen, die erst dann zufrieden seien, wenn das Universum Form annehme, laufe die Annahme, dass es nur „formlos“ sei, auf die Aussage hinaus, dass das Universum „so etwas wie eine Spinne oder eine Spucke ist“. Abgesehen davon, dass diese Sottise wohl auf Kant gemünzt war und weniger auf Hegel oder gar Nietzsche, deren intensive Lektüre Bataille noch bevorstehen sollte, geht es ihm mit seinem etwas befremdlichen Bild der „Spinne“ oder der „Spucke“ nicht nur um eine Problematisierung des Anthropomorphismus, dass wir nämlich in der sinnlichen Wahrnehmung und auch in unserem Denken überall Formen hineinsehen, sondern um eine „unerhörte“ und „unvergleichliche“, um eine „pathetische“ Erkenntnis“, kurz, um eine „Fröhliche Wissenschaft des Visuellen“.
Letztere ist untrennbar mit der „Disparatheit“, der „Unstimmigkeit“ und der „Unkonventionalität“ der visuellen Formen verbunden, als deren Grundstruktur die Montage-Effekte figurieren. Diese Disparatheit entsteht bei Batailles „Documents“ durch die oft paradoxe Nebeneinandersetzung von scheinbar unzusammenhängenden Bildern,also ein „Wuchern der Bilder“:
"Die paradoxe und teilweise „ungeheuerliche“ Überschreitung der Formen in der Montage und Collage bedeutet also nicht, sich von den Formen zu lösen…Das Formlose geltend zu machen bedeutet nicht, Nicht-Formen zu verlangen, sondern vielmehr, sich auf eine Arbeit der Formen einzulassen, die den Wehen bei einer Geburt oder dem Todeskampf in der Agonie entspricht: eine Öffnung, ein Zerreißen, ein (herz)zerreißender Prozess, der etwas zu Tode bringt und in dieser Negativität selbst etwas absolut Neues erfindet, der etwas ans Licht bringt, und sei es ans Licht einer Grausamkeit, die in den Formen und in den Beziehungen zwischen den Formen am Arbeiten ist – eine Grausamkeit in den Ähnlichkeiten."
Metamorphose der Collagen
Die Collage oder Montage hat sich aus ihren Anfängen zu Beginn der Moderne zu einer der bedeutendsten Kategorien heutiger Kunst, Werbung und Illustration entwickelt. Jede Collage ist gekennzeichnet durch ein Herausreißen von Fragmenten aus einem ursprünglichen sinnhaften Zusammenhang und einem mehr oder weniger willkürlichen Wiederzusammenfügen zu einem gänzlich neuen Kontext. Dieses Herausreißen ist einerseits von einer gewissen Tragik, einer Trauer über das verlorene Ganze gekennzeichnet, andererseits von einer Euphorie über die neue überraschend geglückte Zusammenstellung.
Walter Benjamin hat diesen Zusammenhang in der barocken Allegorie aufgezeigt: Versucht man, den Allegoriebegriff (Benjamins) in seine Bestandteile zu zerlegen, so ergibt sich folgendes Schema:
1. Der Allegoriker reißt ein Element aus der Totalität des Lebenszusammenhangs heraus. Er isoliert es, beraubt es seiner Funktion…
2. Der Allegoriker fügt die so isolierten Realitätsfragmente zusammen und stiftet dadurch Sinn…
3. Benjamin deutet die Tätigkeit des Allegorikers als Ausdruck der Melancholie…
4. Rezeption: Die Allegorie stellt Geschichte als Verfall dar.
Ich würde sagen, Kulturgeschichte ist zwar nicht nur Fortschritt, aber keineswegs nur Verfall.
Peter Bürger erkannte im modernen Begriff der Collage und Montage die „tragische“ Allegoriekonzeption, wie sie Benjamin im „Ursprung des deutschen Trauerspiel“ entwickelte. Der Kern der der barocken, allegorischen Betrachtung ist nach Benjamin die Geschichte als Leidensgeschichte der Welt: „Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt“.
Im Gegensatz zum Symbol, das der Klassizismus favorisierte, liege „in dem dürren allegorischen rebus (Bilderrätsel) die Einsicht der Unfreiheit, Unvollendung und Gebrochenheit der sinnlichen, der schönen Physis, verborgen unter dem tollen barocken Prunk“. Daraus resultiere eine „gründliche Ahnung von der Problematik der Kunst: Zwei- und Mehrdeutigkeit, Reichtum von Bedeutungen, Überschreiten der Grenzen und vor allem das hochbedeutende Fragment, die edelste Materie der barocken Schöpfung“.
Bei der Collage haben wir es, wenn man so will, mit einem Zwischending zwischen einer klassischen Komposition mit Teilen, die zu einem spannungsreichen, aber harmonischen Ganzen und einer Bildergeschichte mit nebeneinander gesetzten Phasen eines Bewegungsablaufs zu tun: Durch ihre deutliche Herkunft aus anderen Zusammenhängen hat die Collage immer etwas Parodistisches, deren Teile immer in ihren ursprünglichen Bild-Zusammenhang zurückkehren könnten. Dadurch entsteht in der Imagination des Betrachters eine Bewegung, ein labiler Aggregatzustand, der immer kippen kann.
In jeder Collage sind sozusagen mehrere Bilder enthalten, durch deren scheinbaren permanenten Übergang es bei meinen Collagen zu einer Art „Mystik des Widerspruchs“ (Michel Leiris) kommt, die jedoch kein Selbstzweck ist, sondern die Eröffnung einer neuen Lebendigkeit erstrebt.
Meine Metamorphose
Metamorphose heißt für mich in Bezug auf meine Entwicklung als Künstler (und auf meine Themen) nicht mehr Teleologie entweder zu Höherem oder zu Niedrigerem, sondern mein Werk ist die Gesamtheit einzelner „Projekte“. Diese ergeben sich als aber als nicht-lineare Entwicklung. Diese nicht-lineare, sondern rhizom-artige Entwicklung bezeichne ich als METAMORPHOSE, als Wandlung, um damit meine künstlerische Formung, bzw. Formverschleifung zu charakterisieren.
Es kommt bei meiner künstlerischen Metamorphose auf das Moment der Wandlung an. Selbst bei den klassischen Metamorphosen, wie bei Ovid, wo die beiden Endzustände gar nichts mehr miteinander zu tun haben (Daphne – Lorbeer), ist wie in einem Filmstill der Augenblick der Wandlung, wo das Eine sowohl das Eine wie das Andere ist, momenthaft präsent. Dieses Moment der Wandlung muss auch in den Übergängen meiner künstlerischen Projekte sichtbar sein. Das heißt, es muss noch in jedem Bild anwesend sein. Es muss und kann nicht immer positivistisch im jeweiligen Bild selbst erkennbar sein, sondern es muss in dem, was ich den Denkraum meiner Arbeiten bezeichne, vorhanden sein.
Bekanntlich hat Aby Warburg die Kategorie des Denkraums als eine der fundamental anthropologischen Entwicklungsbegriffe entwickelt:
"Die Urkategorie kausaler Denkform ist Kindschaft. Diese Kindschaft zeigt das Rätsel des materiell feststellbaren Zusammenhangs verbunden mit der unbegreiflichen Katastrophe der Loslösung des einen Geschöpfes vom anderen. Der abstrakte Denkraum zwischen Subjekt und Objekt gründet sich auf dem Erlebnis der durchschnittenen Nabelschnur. Der der Natur gegenüber „Wilde“ ist ohne väterlichen Schutz verwaist, und sein Mut zur Kausalität erwacht in der Auslese eines wahlverwandten Tiervaters, der ihm die Eigenschaften gibt, die er im Kampf mit der Natur braucht und bei sich nur in schwacher Vereinzelung dem Tier gegenüber findet."
Diesen „Denkraum der Besonnenheit“ aus „primitiver Magie“, „bacchantischem Taumel“ oder dem „monströsen Komplex“ zu schaffen, ist nach Warburg unablässige Aufgabe nicht nur der Kultur, sondern auch jedes Einzelnen. Dem Künstler – wie auch dem Rezipienten von Kunst – kommt dabei eine besondere metamorphotische Aufgabe zu:
"Kunstschaffen und Kunstgenuss verlangen die lebenskräftige Vereinigung zwischen seelischen Haltungsformen, die sich beim Normalmenschen eigentlich ausschließen. Leidenschaftliches sich selbst verlieren bis zur völligen Verwandlung an den Eindruck – und kühl distanzierende Besonnenheit in der ordnenden Betrachtung der Dinge. In der Mitte zwischen dem Chaos der leidhaften Erregung und vergleichend ästhetischer Tektonik ereignet sich das Künstlerschicksal."