Parodie

 

Die Parodie ist eine „Nachahmung und komische Umfunktionierung einer präformierten Vorlage“ (Margaret A. Rose). Dabei geht es in einem dialektischen Prozess „nicht nur um die Bloßstellung oder Aufhebung der alten Vorlage, sondern auch um ihre Potenzierung und Modernisierung“. Verständlicherweise verbindet man mit der Parodie seit ihren schon erwähnten Anfängen im frühen Griechenland aufgrund der Überfülle des Materials ausschließlich literarische und dramatische Werke.

Als berühmtestes darf wohl Cervantes’ „Don Quichotte“ gelten, der die dort parodierten Werke der höfischen Ritterromane bei weitem überlebt hat.

 

Nietzsche: Incipit parodia

 

 Apollo ist für Nietzsche als der aus Träumen wahrsagende Gott zugleich der metaphern- und symbolbildende „Gott aller bildnerischen Kräfte“ und „beherrscht als der seiner Wurzel nach Scheinende, als die Lichtgottheit, auch den schönen Schein der inneren Phantasie-Welt“.

Doch sollte sich der „schöne Schein“ von Nietzsches genialer Frühschrift, der „Geburt der Tragödie“ ins Nichts verflüchtigt haben, wenn derselbe in einem berühmten späten Diktum im Zuge der „Refabularisierung“ der Welt feststellt:

"Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? Die scheinbare vielleicht? ...Aber nein! Mit der wahren Welt

haben wir auch die scheinbare abgeschafft!"

Wenn dies nach Nietzsche der vorläufige Endpunkt eines ewig Wiederkehrenden ist, in dem „die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wird; was heißt es dann, dass der „schöne Schein“ wie auch die „wahre Welt“ nicht tot (wie Gott“) sind, sondern als Fiktion fabelhaft ihr glamouröses („zauberhaftes“) Leben leben? Wenn man bedenkt, dass Apollo nach Nietzsche der Gott der (notwendigen) Fiktionen par excellence ist, dann hätte er als ein Gott unter vielen die „uneigentliche“ Doppelnatur, sowohl Fiktionen-schaffend als auch die Fiktion selbst zu sein.

"Die Welt, wie sie ist, ist nichts als Fabel: die Fabel bedeutet etwas, das erzählt wird und das allein in der Erzählung existiert; die

Welt ist etwas, das erzählt wird, ein erzähltes Ereignis und folglich eine Interpretation: die Religion, die Kunst

die Wissenschaft, die Geschichte – ebenso viele verschiedene Interpretationen der Welt, oder besser: ebenso viele Varianten der

Fabel" fabuliert Pierre Klossowski, indem er Nietzsche wortwörtlich nimmt und nicht bloß metaphorisch, also Fabel als Fabel.

 

Georg Simmel: Philosophie des Schauspielers

 

Im Theater wird die Fabel aufgeführt; allerdings nicht als Schein einer Wirklichkeit, sondern sozusagen als Wirklichkeit einer Wirklichkeit, wie Georg Simmel in seinen Notizen zur „Philosophie des Schauspielers“ bemerkt hat:

Der künstlerische Schauspieler aber ist so wenig wie der Porträtmaler der Nachahmer der wirklichen Welt, sondern der Schöpfer

einer neuen, die freilich dem Phänomen der Wirklichkeit verwandt ist…Darum ist es ein ganz irriger Ausdruck,…dass die Kunst

überhaupt, und insbesondere die Schauspielkunst, ihre Substanz im Schein habe. Denn aller schein setzt eine Wirklichkeit voraus,

entweder als seine tiefere Schicht, deren Oberfläche er ist, oder als sein Gegenteil, das er heuchlerisch vertreten will. Kunst aber

steht jenseits dieses Gegensatzes, ein für sich bestehendes Reich, in dem man die Wirklichkeit nicht suchen und deshalb den

Schein nicht finden kann."

 

Worauf es hier ankommt, ist der unscheinbare Nebensatz, mit dem Simmel das eigene Reich der Kunst in eine Verwandtschaft mit der Wirklichkeit setzt. Genau dieses Sowohl-als-auch würde Nietzsche mit dem „dionysischen Charakter“ der Welt bezeichnen. Die Theatralität der Welt ist dionysisch. Nicht umsonst wird dem Dionysos die Stiftung des Theaters zugesprochen, immer mit Vermerk seiner Genese aus dem „Bocksgesang“, der nichts anderes ist als das Ritual, das die erste und historisch längste Form einer konsistenten Welterzeugung darstellt. Das heißt nicht, dass die Welt vorher nicht da war. Innerhalb der Welt gibt es Abstufungen von „Welthaltigkeit“. 

Gar die „klugen Tiere“, die nach Nietzsches genialer, unveröffentlichter Jugendschrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn“ in der „hochmütigsten und verlogensten Minute der Weltgeschichte das Erkennen erfanden“ sind eine ernsthafte Parodie. Und hat „Herr Nietzsche“ nicht in einer seiner nachträglichen Vorreden, hier zur zweiten Ausgabe der „Fröhlichen Wissenschaft“ die Parodie als letzte Konsequenz der Tragödie bezeichnet:

 „Incipit tragoedia“ – heißt es am Schlusse dieses bedenklich-unbedenklichen Buches: man sei auf seiner Hut! Irgendetwas

ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zweifel".

 

 

Parodie als Form des Mysteriums

 

Derrida hat in Nietzsches „Politik des Eigennamens“ eine List und eine Lust „zur Dissimulation hinter seinen Masken“ gesehen; in immer wieder neuen wahren Verkleidungen: „Ich, Friedrich Nietzsche, erzähle mir mein Leben…, lebe auf meinen eigenen Kredit hin…mein Leben vielleicht ein Vorurteil…Dionysos gegen den Gekreuzigten. Diese Dissimulation des Selbst als „homonyme Masken“ verweisen auf den „Denker auf der Bühne“, wie ihn Peter Sloterdijk bezeichnet hat.

In der Tat führt Nietzsche in der Tragödienschrift das „Wesen des Dionysischen“ mit Analogien zu ekstatischer Theatralität ein: diese Sanct-Johann- und Sanct-Veittänzer des Mittelalters wälzten sich unter der gleichen dionysischen Gewalt singend und tanzend von Ort zu Ort mit ihrer Vorgeschichte der bacchischen Chöre in Griechenland bis hin zu Babylon…der eleusinische Mysterienruf ertönt, wenn die Natur ihr Versöhnungsfest feiert…bei dem Evangelium der Weltharmonie schreiten unter dem Joch des mit Blumen und Kränzen geschmückten Wagen des Dionysos Panther und Tiger…Beethovens Jubellied der Freude ertönt und in diesem tableau stürzen Millionen schauervoll in den Staub…Das ist wahrhaft große Oper, opera seria und opera buffa in einem, das ist Oper und großes Kino: „Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden“ – wir würden sagen, die Fiktion seiner selbst.

Wenn der Denker auf die Bühne steigt „und sich als Sprecher einer experimentellen Existenz aufs Spiel setzt“, dann kann er nicht mehr die Sprache der in sich ruhig gestellten Existenz, also die der Ontologie sprechen, er muss als „moderner Mystagoge und Orgienführer“ zu den modernen Subjekten sprechen. „Im Eifer der Verkündigung wird er Schwangerer, Gynäkologe und göttliches Kind in einem“. „Der Denker auf der Bühne spricht nicht so sehr als Narr auf eigene Faust“, so führt Sloterdjik weiter aus, „sondern redet…im Namen des durch ihn interpretierten Weltaugenblicks.“

Die Parodie ist - auch ethymologisch - „neben den Gesängen“ (para ten oden). Giogia Agamben hat in seinem Text über die „Parodie als Form des Mysteriums“ eine von Nietzsches sogenannten Wahnsinnsepisteln angeführt:

"Angesichts des Mysteriums kann die künstlerische Schöpfung nur zu einer Karikatur werden, im Sinne Nietzsches, als er…an

Jacob Burckhart schreibt: „son dio, ho fatto questa caricatura…zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott, aber ich

habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben.“

Agamben interpretiert diese legendären letzten Zeugnisse Nietzsches als Ausweg aus der Unmöglichkeit, das „Unerzählbare zu erzählen“. Es bleibt die Parodie als Form des Mysteriums.

 

 

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