Metamorphosen

Alles, was wir erleben, ist Metamorphose"

Aby Warburg

 

 

Metamorphose der Formen

 

Der französische Kunsthistoriker und Philosoph Georges Didi-Huberman beschäftigt sich in seinem Buch „Formlose Ähnlichkeit“, deren Untertitel den programmatischen Anspruch umreißt: „Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille“ mit einem bis dato wenig beachteten Werk von Georges Bataille: den Texten und Bildern der Zeitschrift „Documents“ und dort insbesondere mit dem „Kritischen Wörterbuch“, für die Bataille als Autor und Herausgeber (zusammen mit Michel Leiris, Carl Einstein und anderen) in dem kurzen Zeitraum von 1929 bis 1930 arbeitete.

Laut Didi-Huberman geht es Bataille (und den anderen Autoren) dabei um nichts Geringeres als um eine METAMORPHOSE der Formen. Diese erscheint in den Fotografien  in den „Documents“, die von der Ethnographie über die Kunstgeschichte bis hin zur damaligen Alltagswelt und den Anfängen einer modernen Massenkultur und – Arbeiten der damals aktuellsten modernen Künstler, wie Picasso, Masson oder Eisenstein reichen und sogar auch Kinderzeichnungen umfassen:

 "Hier wuchern also die Bilder – Bilder aller Art –, und mit ihnen die Berührungen, die Beziehungen, wobei Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, Evidenzen und Nichtevidenzen sich mischen: Tafeln mit Gebieterinnen und Instrumenten, Architekturfotografien und Kinderzeichnungen, antike Münzen und Jazzorchester, mittelalterlicher Schmuck und anatomische Bildtafeln, Zootieren und Schlachtvieh, Totempfähle und Hollywoodstars, berühmte Kalligraphien und rätselhafte Graffiti, mythologische Ungeheuer und Comics, Monumente und Organe, moderne Kunst und Tarotkarten, am Strand gefundene Steine und neapolitanische Krippen, Museumsarsenale und Gerichtsfotografien, antike Statuen und wilde Stämme, illuminierte Handschriften und Gürtelschnallen, Votivgaben und Puppen, Blumen und Partituren, Schädel und Masken, und so fort." schreibt Didi-Huberman.

 

 

Diese summarische Aufzählung scheint auf den ersten Blick wie ein  krudes Sammelsurium einer modernen Wunderkammer oder Ordnungen des puren Zufalls wie bei Borges, dessen phantastische „Enzyklopädie“ Foucault eine Erwähnung in seinem berühmten Vorwort zur „Ordnung der Dinge“ wert war. Foucaults „Ortlosigkeit der Sprache“,  dieser „Platz des Unmöglichen“, wo einzig diese monströse Ordnung realisiert werden kann, lässt sich bei den bildnerischen Collagen und Montagen  auf den imaginären Ort der Bildfläche übertragen, in der die phantastischsten Geschöpfe und Ordnungen ihr irrlichterierendes, obskures Wesen treiben.

 

Didi-Huberman macht klar, dass Batailles „Formlosigkeit“ keinesfalls Nicht-Form meint, sondern ein „Hin-und-Her“, ein „Auf-und-Ab“, letztlich eine Übersteigerung, eine Überschreitung der Formen reklamiert, um einen von Batailles wichtigsten und oft missverstandenen Termini zu gebrauchen. So unterstellt er in dem Artikel „Formlos“ , dass dieses Adjektiv nicht nur einen allgemeinen Sinn, sondern auch eine „Verrichtung“, also eine tendenziöse Bedeutung, habe, die der „Deklassierung diene“ im Sinne einer „allgemeinen Erfordernis, dass jedes Ding seine Form hat“. Die Formlosigkeit, fährt Bataille fort, habe keine Rechte; man könne sie zertreten wie eine „Spinne oder einen Wurm“ und die ganze Philosophie habe „kein anderes Ziel, als alles in einen mathematischen Reitmantel zu stecken“. Im Gegensatz zu den akademischen Menschen, die erst dann zufrieden seien, wenn das Universum Form annehme, laufe die Annahme, dass es nur „formlos“ sei, auf die Aussage hinaus, dass das Universum „so etwas wie eine Spinne oder eine Spucke ist“. Abgesehen davon, dass diese Sottise wohl auf Kant gemünzt war und weniger auf Hegel oder gar Nietzsche, deren intensive Lektüre Bataille noch bevorstehen sollte, geht es ihm mit seinem etwas befremdlichen Bild der „Spinne“ oder der „Spucke“ nicht nur um eine Problematisierung des Anthropomorphismus, dass wir nämlich in der sinnlichen Wahrnehmung und auch in unserem Denken überall Formen hineinsehen, sondern um eine „unerhörte“ und „unvergleichliche“, um eine „pathetische“ Erkenntnis“, kurz, um eine „Fröhliche Wissenschaft des Visuellen“.

 

 

Letztere ist untrennbar mit der „Disparatheit“, der „Unstimmigkeit“ und der „Unkonventionalität“ der visuellen Formen verbunden, als deren Grundstruktur die  Montage-Effekte figurieren. Diese Disparatheit entsteht bei Batailles „Documents“ durch die oft paradoxe Nebeneinandersetzung von scheinbar unzusammenhängenden Bildern,also ein „Wuchern der Bilder“:

"Die paradoxe und teilweise „ungeheuerliche“ Überschreitung der Formen in der Montage und Collage bedeutet also nicht, sich von den Formen zu lösen…Das Formlose geltend zu machen bedeutet nicht, Nicht-Formen zu verlangen, sondern vielmehr, sich auf eine Arbeit der Formen einzulassen, die den Wehen bei einer Geburt oder dem Todeskampf in der Agonie entspricht: eine Öffnung, ein Zerreißen, ein (herz)zerreißender Prozess, der etwas zu Tode bringt und in dieser Negativität selbst etwas absolut Neues erfindet, der etwas ans Licht bringt, und sei es ans Licht einer Grausamkeit, die in den Formen und in den Beziehungen zwischen den Formen am Arbeiten ist – eine Grausamkeit in den Ähnlichkeiten."

Metamorphose der Collagen

 

Die Collage oder Montage hat sich aus ihren Anfängen zu Beginn der Moderne zu einer der bedeutendsten Kategorien heutiger Kunst, Werbung und Illustration entwickelt. Jede Collage ist gekennzeichnet durch ein Herausreißen von Fragmenten aus einem ursprünglichen sinnhaften Zusammenhang und einem mehr oder weniger willkürlichen Wiederzusammenfügen zu einem gänzlich neuen Kontext. Dieses Herausreißen ist einerseits von einer gewissen Tragik, einer Trauer über das verlorene Ganze gekennzeichnet, andererseits von einer Euphorie über die neue überraschend geglückte Zusammenstellung.

Walter Benjamin hat diesen Zusammenhang in der barocken Allegorie aufgezeigt: Versucht man, den Allegoriebegriff (Benjamins) in seine Bestandteile zu zerlegen, so ergibt sich folgendes Schema:

1. Der Allegoriker reißt ein Element aus der Totalität des Lebenszusammenhangs heraus. Er isoliert es, beraubt es seiner Funktion…

2. Der Allegoriker fügt die so isolierten Realitätsfragmente  zusammen und stiftet dadurch Sinn…

3. Benjamin deutet die Tätigkeit des Allegorikers als Ausdruck der Melancholie…

4. Rezeption: Die Allegorie stellt Geschichte als Verfall dar.

Ich würde sagen, Kulturgeschichte ist zwar nicht nur Fortschritt, aber keineswegs nur Verfall.

 

 

Peter Bürger erkannte im modernen Begriff der Collage und Montage die „tragische“ Allegoriekonzeption, wie sie Benjamin im „Ursprung des deutschen Trauerspiel“ entwickelte. Der Kern der der barocken, allegorischen Betrachtung ist nach Benjamin die Geschichte als Leidensgeschichte der Welt: „Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt“.

Im Gegensatz zum Symbol, das der Klassizismus favorisierte, liege „in dem dürren allegorischen rebus (Bilderrätsel) die Einsicht der Unfreiheit, Unvollendung und Gebrochenheit der sinnlichen, der schönen Physis, verborgen unter dem tollen barocken Prunk“. Daraus resultiere eine „gründliche Ahnung von der Problematik der Kunst: Zwei- und Mehrdeutigkeit, Reichtum von Bedeutungen, Überschreiten der Grenzen und vor allem das hochbedeutende Fragment, die edelste Materie der barocken Schöpfung“.

Bei der Collage haben wir es, wenn man so will, mit einem Zwischending zwischen einer klassischen Komposition mit Teilen, die zu einem spannungsreichen, aber harmonischen Ganzen und einer Bildergeschichte mit nebeneinander gesetzten Phasen eines Bewegungsablaufs zu tun: Durch ihre deutliche Herkunft aus anderen Zusammenhängen hat die Collage immer etwas Parodistisches, deren Teile immer in ihren ursprünglichen Bild-Zusammenhang zurückkehren könnten. Dadurch entsteht in der Imagination des Betrachters eine Bewegung, ein labiler Aggregatzustand, der immer kippen kann.

 

In jeder Collage sind sozusagen mehrere Bilder enthalten, durch deren scheinbaren permanenten Übergang es bei meinen Collagen zu einer Art „Mystik des Widerspruchs“ (Michel Leiris) kommt, die jedoch kein Selbstzweck ist, sondern die Eröffnung einer neuen Lebendigkeit erstrebt.

 

 

Meine Metamorphose

 

Metamorphose heißt für mich in Bezug auf meine Entwicklung als Künstler (und auf meine Themen) nicht mehr Teleologie entweder zu Höherem oder zu Niedrigerem, sondern mein Werk ist die Gesamtheit einzelner „Projekte“. Diese ergeben sich als aber als nicht-lineare Entwicklung. Diese nicht-lineare, sondern rhizom-artige Entwicklung bezeichne ich als METAMORPHOSE, als Wandlung, um damit meine künstlerische Formung, bzw. Formverschleifung zu charakterisieren.

 

Es kommt bei meiner künstlerischen Metamorphose auf das Moment der Wandlung an. Selbst bei den klassischen Metamorphosen, wie bei Ovid, wo die beiden Endzustände gar nichts mehr miteinander zu tun haben (Daphne – Lorbeer), ist wie in einem Filmstill der Augenblick der Wandlung, wo das Eine sowohl das Eine wie das Andere ist, momenthaft präsent. Dieses Moment der Wandlung muss auch in den Übergängen meiner künstlerischen Projekte sichtbar sein. Das heißt, es muss noch in jedem Bild anwesend sein. Es muss und kann nicht immer positivistisch im jeweiligen Bild selbst erkennbar sein, sondern es muss in dem, was ich den Denkraum meiner Arbeiten bezeichne, vorhanden sein.

Bekanntlich hat Aby Warburg die Kategorie des Denkraums als eine der fundamental anthropologischen Entwicklungsbegriffe entwickelt:

"Die Urkategorie kausaler Denkform ist Kindschaft. Diese Kindschaft zeigt das Rätsel des materiell feststellbaren Zusammenhangs verbunden mit der unbegreiflichen Katastrophe der Loslösung des einen Geschöpfes vom anderen. Der abstrakte Denkraum zwischen Subjekt und Objekt gründet sich auf dem Erlebnis der durchschnittenen Nabelschnur. Der der Natur gegenüber „Wilde“ ist ohne väterlichen Schutz verwaist, und sein Mut zur Kausalität erwacht in der Auslese eines wahlverwandten Tiervaters, der ihm die Eigenschaften gibt, die er im Kampf mit der Natur braucht und bei sich nur in schwacher Vereinzelung dem Tier gegenüber findet."

BOOOM, 2020, Öl/Leinwand

Diesen „Denkraum der Besonnenheit“ aus „primitiver Magie“, „bacchantischem Taumel“ oder dem „monströsen Komplex“ zu schaffen, ist nach Warburg unablässige Aufgabe nicht nur der Kultur, sondern auch jedes Einzelnen. Dem Künstler – wie auch dem Rezipienten von Kunst – kommt dabei eine besondere metamorphotische Aufgabe zu:

"Kunstschaffen und Kunstgenuss verlangen die lebenskräftige Vereinigung zwischen seelischen Haltungsformen, die sich beim Normalmenschen eigentlich ausschließen. Leidenschaftliches sich selbst verlieren bis zur völligen Verwandlung an den Eindruck – und kühl distanzierende Besonnenheit in der ordnenden Betrachtung der Dinge. In der Mitte zwischen dem Chaos der leidhaften Erregung und vergleichend ästhetischer Tektonik ereignet sich das Künstlerschicksal."

 

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