Wonach sollten wir uns richten in einer gottlosen Welt? In der modernen Welt haben die Stars und Sternchen schon lange den Platz Gottes eingenommen. Fußballer, Models, Popstars und neuerdings auch Supertalente sind unsere neuen Götter. Dann kamen die Köche. Aber das hat uns auch nicht satt gemacht. Jetzt sollen die Künstler uns zeigen, wo es lang geht. Spot an! Und der Maler im Schaufenster fühlt sich honoriert. Er schöpft wieder Hoffnung. Es könnte ja sein, dass er wirklich gebraucht wird, dass er wirklich wertgeschätzt wird. Vielleicht kann er jetzt endlich den Menschen zeigen, wie man glaubt, wie man seine Ideale verwirklicht, wie man etwas schafft, oder besser gesagt, etwas er-schafft aus dem Nichts.
Der Künstler scheint uns zu sagen: Seht her, so kommuniziere ich mit der Welt, so verwandle ich sie mit meinem neuen Blick, und sie mich in meiner Hingabe zu ihr.
Siehe, ich mache alles neu. Ist der Künstler der neue Messias?
Ich denke, der Künstler stellt sich zur Verfügung als Modell, als lebendiges Beispiel, um den Prozess der Kommunikation sichtbar zu machen. Kommunikation nicht als bloßer Informationsaustausch, sondern als Verwandlung, als Sterben und Werden. Keine Verwandlung ohne Sterben. Also, keine Verwandlung ohne Opfer! Der Künstler führt uns vor, wie man glaubt und dabei stirbt, wie man liebt und dabei stirbt und letztlich, wie man stirbt, um neu zu werden.
Sei, was du scheinen willst. Dieser Imperativ, der von Sokrates stammt, bedeutet für mich: Lebe dein Ideal, lebe das, woran du glaubst, lebe die Vorstellung, die du von dir selbst hast, werde dieser gerecht. Diese Vorstellung, die man von sich selber hat, ist immer in einer bestimmten Kultur eingebettet und damit von den Wertmaßstäben dieser Kultur abhängig. So ein Satz kann nur in einer Welt, die sich nach dem moralischen Prinzip des Guten richtet, als Empfehlung gelten. Aber der moderne Künstler lebt in der modernen Welt, in der gottlosen Welt. Welchem Beispiel soll er folgen? Sein Streben nach Gott erinnert an die Kultur des Gutseinwollens, die Kultur, die einen Gott entworfen hat und entwerfen musste als Möglichkeit des sich Selbstfeststellens.
Wir kommen also nicht aus ohne diesen Gott, besonders dann nicht, wenn wir geliebt werden und lieben möchten. Was tun wir, wenn wir geliebt werden und lieben möchten? Wir wagen es wir selbst zu sein. Wir wagen es an uns zu glauben.
Friedrich Nietzsche spricht von einem getöteten Gott, von einem Gott, den wir umgebracht haben. Mit diesem Befund will Nietzsche dem modernen Menschen seine neue Lage sichtlich machen. Der moderne Mensch ist nichts anderes als der gottlose Mensch, der keinen Referenzpunkt hat, um sich selbst feststellen zu können. Nietzsche nennt den modernen Menschen „das unfestgestellte Tier“. Der gottlose Mensch muss selbst ein „Übermensch“ werden, also Gott. In diesem Sinne sollte er eine neue Art von Glauben haben, denn Gott befindet sich nicht mehr außerhalb ihm, sondern in ihm. Der „Übermensch“ sagt: Es gibt niemanden, der mich retten kann. Es gibt keinen Gott, nur ich selbst kann mich retten, indem ich meine Angst überwinde, indem ich Ja sage zu meinem Schicksal und damit auch zu meinem Tod.
Vielleicht tut der Künstler das. Vielleicht stimmt das, was Markus Lüpertzgesagt hat: Der Künstler ist das Beste, Schönste und Großartigste, was die Gesellschaft hat
(2012)