Apokalypse

Seeya – see you – Wir sehen uns…

So beginnt meine Diashow zum Thema der Vision des Sehers und Propheten mit dem Namen Johannes, die er um ca. 70 nach Christus auf der griechischen Insel Patmos aufgeschrieben hat. Das erste Wort seines Textes, griechisch „apokalypse“ heißt eigentlich „Enthüllung“ und hat seinem Text auch den Namen gegeben. Johannes wendet sich zuerst an die „sieben Gemeinden in Asia“, heute Türkei, von denen eine im Bild durch eine Kirche symbolisiert ist. Und das Comic-face sagt „Wir sehen uns“ und wir sehen auch einen Strichcode, der heute zum Scannen von Waren dient.

Johannes ist allerdings nur derjenige, der eine Sendung empfängt, durch die Vermittlung noch eines weiteren Zwischenträgers, nämlich eines Engels. Könnte das weibliche Gesicht rechts, unverkennbar aus einer der modischen Hochglanz-Fashion-Magazine entsprungen nicht ein moderner Engel, ein aktueller Bote sein?

Welche Botschaft überbringt er?

In meinem aus Vergangenheit und Gegenwart und vielleicht Zukunft zusammengesetzten Bild-Komos „kündet der Engel die Offenbarung Jesu Christi seinem Knecht Johannes“. Christus ist hier als das Lamm dargestellt entsprechend einer bis ins Alte Testament zurückgehenden Bildtradition, während die segnende Gestalt Gott Vater ist.

Viele Sichtbarkeiten. Viele Sehweisen.

Was der Visionär sieht, ist für alle anderen unsichtbar. Der Seher hat er keine Halluzinationen, denn Gott zeigt, enthüllt nur ihm in einem ekstatischen Moment („vom Geist ergriffen“) „das, was bald geschehen soll“.

Ich sehe eine unregelmäßige hellblaue geometrische Form inmitten des Bildes, das Ende des 13. Jahrhunderts von einem niederländisch geschulten Künstler in Nordfrankreich entworfen und als Tapisserie in Paris realisiert wurde. Geometrische Formen als Kunst gibt es erst in der modernen abstrakten Malerei. Diese bedeuteten für viele abstrakte Maler quasi religiöse, ja mystische Inhalte. Insofern werden über die Jahrhunderte hinweg in einer völlig anderen Gestalt mit dieser Collage ähnliche Inhalte thematisiert.

Natürlich widerspricht eine solche Analogisierung der großen Entwicklungslinie der Kunst, die nicht mehr wie in der sakralen Kunst des Mittelalters an ein Jenseits gebunden ist, sondern radikal diesseitig wurde. Mit dieser „Säkularisierung“ ging aber auch ein Verlust an Transzendenz einher, der dann bei den Erfindern der abstrakten Malerei Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer neuen spirituellen Kunstform einer radikalen Abstraktion führte.

Die Kraft der Vision ist nach Nietzsche auf den „apollinischen Rausch“ zurückzuführen (Götzendämmerung, Streifzüge 10), der vor allem das Auge errege. Deshalb seien Maler, Plastiker und Epiker Visionäre par excellence. Im Gegensatz dazu werden im dionysischen Zustand alle Mittel des Ausdrucks mit einem Mal entladen und somit „die Kraft des Darstellens, Nachbildens, Transfigurierens (Verklärens), Verwandelns und alle Art von Mimik und Schauspielerei herausgetrieben“. Nietzsches Resume des dionysischen (und des apollinischen) Zustands, das Wesentliche bleibe dabei die Leichtigkeit der Metamorphose, die Unfähigkeit, nicht zu reagieren, ist insofern für die Offenbarung des Johannes bemerkenswert, als uns nach der Eröffnungsvision ein gewaltiges kosmologisches Endzeit-Spektakel vorgeführt wird mit globalen Katastrophen, ohrenbetäubendem Posaunen-Schall, mit Gott-Vater persönlich und der Christus-Metamorphose, dem Lamm sowie mit merkwürdigen chimärischen Fabelwesen.

Zu dem in den „Geist“, in das „pneuma“, also in den Hauch geratenen Johannes auf Patmos spricht jemand mit einer „Stimme wie eine Posaune“ und sagt: „Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende…“(1,11). Dieser Jemand ist niemand anderer als Gott selbst, der sich mit der Formel „Ich bin der Erste und der Letzte“ vorstellt. Doch ist „Gott zwar nah, aber auch schwer zu fassen“, wie Hölderlin in seiner großen Hymne „Patmos“ sagt.

Der Seher sieht „jemanden, der einem Menschensohn glich mit Augen wie eine Feuerflamme, mit Füßen aus Erz und einer Stimme wie das Rauschen vieler Wasser.“(1,15).

Innerhalb von sieben Leuchtern und mit sieben Sternen in der Hand und einem „scharfen, zweischneidigen Schwert, das aus seinem Mund kommt“ verkörpert Gott als Christus („Menschensohn“), der tot war, das Leben „in Ewigkeit“. Er hat die Schlüsselgewalt über den Tod (thanatos) und das Totenreich (hades), wobei Gerhard Maier, mein theologischer Hauptreferent in Sachen Apokalypse, hier einen Streit der Exegeten anmerkt, ob es um personifizierte Mächte geht, also um Thanatos und Hades oder um Verweise auf Bibelstellen, z.B. auf die Hadesfahrt Christi (Maier, Offenbarung 1, S. 126).

Das scharfe Schwert, das aus dem göttlichen Mund kommt, ist nach Meier ein Symbol für das kämpferische Wort, das im Alten Testament mit dem „Stab des Mundes“ (Jes. 11,4) – und nicht nur mit diesem – die Gottesfeinde schlägt. Inwieweit die göttliche Rede „zweischneidig“ ist, also dunkel und mehrdeutig, dafür legen die unzähligen Deutungen der Apokalypse seit ihrer „Veröffentlichung“ bis heute Zeugnis ab. Der alttestamentarische Gott hat sich jedenfalls schon der Schrift, also des damals modernsten Mediums, bedient. Gott selbst schreibt und befiehlt zu schreiben.

„No Apocalypse, not now“ ist der Titel eines 1983 publizierten Vortrages von Jacques Derrida, wo er, ausgehend von der Einschätzung der atomaren Überlegenheit der USA in der Reagan-Ära das Reden vom Atomkrieg einer „Dekonstruktion“ unterzieht. Er behauptet darin nichts weniger als die strukturelle Ähnlichkeit zwischen der Möglichkeit einer letzten irreversiblen Zerstörung der Welt durch einen Atomkrieg und der „absoluten Auto-Destruierbarkeit der Literatur (und der Kunst allgemein) des Atomzeitalters, wobei diese „ohne Apokalypse, ohne Offenbarung der eigenen Wahrheit, ohne absolutes Wissen“ (Derrida, Apokalypse S. 105) zu verstehen sei.

Es ist ein Kennzeichen aller modernen profanen „Apokalypsen“, dass sie keinerlei chiliastische Endzeithoffnung beinhalten, z.B. ein „tausendjähriges Reich“ des Heils nach Erscheinen des Messias, das in seiner unheilvollsten Perversion als sogenanntes „Drittes Reich“ in schrecklicher Erinnerung bleibt.

Demgegenüber gibt es auch im modernen, materialistisch geprägten Denken die Idee eines Messianismus ohne Messias. So bei Walter Benjamin:

„Während freilich die unmittelbare messianische Intensität des Herzens, des innern einzelnen Menschen durch Unglück, im Sinne des Leidens hindurchgeht. Der geistlichen restitutio in integrum (Wiederherstellung in den unversehrten Zustand), welche in die Unsterblichkeit einführt, entspricht eine weltliche, die in die Ewigkeit eines Unterganges führt und der Rhythmus dieses ewig vergehenden, in seiner Totalität vergehenden, in seiner räumlichen, aber auch zeitlichen Totalität vergehenden Weltlichen, der Rhythmus der messianischen Natur, ist Glück. Denn messianisch ist die Natur aus ihrer ewigen und totalen Vergängnis.“ (Walter Benjamin, Theologisch-politisches Fragment).

Benjamin führt hier in die säkularisierten materialistischen Endzeithoffnungen, die spätestens im GULAG zerstoben sind, wieder eine messianische Metamorphose des Glücks jenseits der weltlichen Apokalypsen ein.

Vom einem himmlischen Jerusalem, wie bei Johannes, ist bei ihm allerdings nicht die Rede.


(2013)

Heribert Heere

KÜNSTLER

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