Metabilder

 

Ich sehe in der Kunstentwicklung der Moderne ein unauflösbares Paradox: einerseits konnte sie nicht mehr die Mehrdeutigkeit der Allegorien weiterführen, andererseits war ihr der radikale Verweisungscharakter auf ein rein Geistiges um den Preis ihres Endes verwehrt, wie gewisse Tendenzen der Conceptual Art der letzten Jahrzehnte zeigen.

Aus dem Dilemma der binären Struktur, das vergebliche Bemühen, das Präsentierte gleichermaßen zu identifizieren wie zu offenbaren, hat die Kunst z. T. versucht, sich in eine totale Selbstreferenz zu „flüchten“. Dass schon die Werke der diesbezüglichen klassischen Avantgarde deshalb eine Tendenz zum quasi magischen Fetisch hatten, verführte deren Apologeten, in ihnen eine religiöse, ja meditative Tendenz zu sehen, wohingegen die authentische religiöse Kunst, z.B. im Mittelalter, sich gerade durch eine unverzichtbare ternäre Struktur auszeichnete. Das religiöse Bild ist gleichzeitig Erscheinung, „Inkarnation“ wie auch Verweisung auf das Andere, das Göttliche.[1]Die massive Drohung, zwischen der Scylla des selbstreferentiellen Fetischs und der Charybdis des Kitsches zerrieben zu werden, brachte dann einige Künstler dazu, sich nicht mehr auf ein wie immer geartetes Andere der Kunst zu beziehen: wie Realität, Wahrheit, das Erhabene, das Hässliche etc., sondern – auf andere vorgeformte Zeichen, seien sie nun allgemein massenkultureller oder spezifisch künstlerischer Herkunft. So vertrat die „konzeptuelle“ Fraktion der Pop-Art, allen voran Warhol, diese Strategie.

Ähnliches gilt für meine Arbeiten. Sie beziehen sich zuerst mittels Collagierung auf andere „Zeichen“, d.h. auf andere Bilder. Da aber diese Bilder keinesfalls „ursprünglich“, sondern selbst wieder Ausdruck bestimmter individueller und kultureller „Patterns“ sind, die erst die Realität, also die „Welt“ ausmachen, kann man hier durchaus von einem unendlichen Regress sprechen, der aber als Kunst nicht zirkulär und aporetisch ist:

Das Sichtbare der Kunst verweist qua Präsenz auf ein Unsichtbares, das wiederum auf ein Sichtbares verweist und so fort…Es handelt sich nicht um eine Refetischisierung, sondern um ein „Metabild“, um einen Ausdruck von Tom Mitchell zu gebrauchen[2]. Damit bezeichnet dieser solche Bilder, die nicht nur „reine“ Bilder sind, sondern zusätzlich über Bilder und ihre Welt visuell reflektieren. Diese Metabilder  sind „notorisch wanderlustig, bewegen sich von der populären Kultur in die Wissenschaft, die Philosophie oder die Kunstgeschichte, vertauschen eine marginale Existenz als Illustration oder Ornament mit Zentralität und kanonischer Ordnung“[3].

Für die Herstellung solcher „Appropriations“-Kunst ist die fotografische Reproduktion – nicht nur als dazwischen geschaltetes Medium – unerlässlich. Wolfgang Ullrich hat gezeigt, dass der Umgang mit Reproduktionen zunehmend „raffinierter“ wird, und zur „besten Schule des Geschmacks“ mit einem „Sinn für Differenzen“ und einer „reich nuancierten Sprache“ führt.[4] So spielen bei meinen „gemalten Collagen“ die Nuancierungen zwischen der Sicht des Apparats und der malerischen „Hand- und Kopf“-Arbeit eine entscheidende Rolle.

Dies führt uns zum entscheidenden Paradigma meiner gesamten künstlerischen Arbeit seit mehr als 30 Jahren – einem Paradigma, das ich nicht allein erfunden habe, sondern das zu den Essentials der Postmoderne gehört – mit wichtigen Vorläufern in der klassischen Moderne:

 

 

Kunst der kulturellen Sehweisen

 

Wie oben schon angedeutet, thematisiert diese Kunst nicht mehr bestimmte Inhalte, sondern bestimmte „kulturelle Sehweisen“, wie sie in Zeichen verschiedenster Art zum Ausdruck kommen: Alltagsrituale, Stadt-Räume, Aspekte der Massenkultur (Warenwelt, Mode, Werbung, Themenparks, Pop-Konzerte etc.) und schließlich die Kunst selbst. Soweit ich sehe, war Foucault der erste, der diesen „epistemischen Bruch“ für die Welt des Wissens (Sprache und Wissenschaft) herausgearbeitet hat.[5] Wenn Foucault seine Untersuchungen als „Diskurs über Diskurse“ bezeichnet „ohne den Ort zu bestimmen, von dem aus er spricht“ und sie als „Entfaltung einer Streuung ohne ein System von Unterschieden“[6] charakterisiert, schlage ich für die analoge Arbeit des Künstlers die Formel einer „Kunst über Sehweisen“ vor, da mir der bekannte Begriff einer „Kunst über Kunst“ einerseits zu eng (nur auf „Kunst“ bezogen) und andererseits zu weit (als lediglich eine unter vielen Möglichkeiten künstlerischer Artikulation) erscheint.

Um ein Beispiel zu nennen: Ich zeichne selbst seit Jahren Akt nach Modell. Man muss sich klarmachen, dass der Aktzeichner erst in zweiter Linie einen bestimmten nackten Menschen zeichnet. In erster Linie ist sein Zeichnen Ausdruck einer bestimmten ästhetischen Topologie, die ihren Beginn in den Akademiegründungen des Absolutismus hat; mit einem Kanon bestimmter Posen und formalisierter Rituale. Es handelt sich um eine bestimmte „Geschichte des Blicks“ auf den nackten Menschen seit den griechischen beispielgebenden „Verwandlungen Apolls“[7]… Die „Kunst der Sehweisen“ nun will dieser unendlichen Geschichte des Blicks keine neue Facette hinzufügen, sondern die Geschichte des Blicks selbst in den Blick nehmen – im Medium der Kunst. Natürlich weiß ich zur Genüge, wie sehr eine solche Intention mit dem Odium des „Illustrativen“ behaftet ist – mit dem Hintergrund einer fetischisierten Autonomie und Originalität der Kunst. Demgegenüber plädiere ich für eine Kunst jenseits, nicht diesseits ihrer Autonomie!

Für diese neue „Kunst der Sehweisen“ sind Begriffe wie„Virtualität“, „Einfaltung“, „Multiperspektivismus“, „stilistische Hybridisierung“ konstitutiv.

 

 

Bild-Text-Geflecht

 

Aus diesem Charakter meiner Arbeiten als Schichtungen von Bildern und Bedeutungen erklärt sich auch der neue Charakter meiner Texte. Diese sind zwar nicht selbst Kunst, sind aber auch nicht Interpretation (da der Künstler dafür grundsätzlich ungeeignet ist) oder gar subjektive „Schwiemelei“, sondern stellen integrale Bedeutungskomplexe vor. Die Bilder müssen natürlich auch ohne die Texte wirken. Deren Bedeutungen sind aber tendenziell unendlich (da unterscheide ich mich wohl von der „Hermeneutik“) und kreieren idealerweise ein Bild-Text-Geflecht, das bei einer Präsentation auch zu berücksichtigen wäre (z.B. als Audioführer, Wandtext, „laufender Text“ etc.).

 

 


[1] Hans Belting, Bild und Kult, München 2004

[2] W.J.T. Mitchell, Bildtheorie, Frankfurt 2008, S. 172ff

[3] Ibid., S. 200

[4] Wolfgang Ullrich, Raffinierte Kunst, Übung vor Reproduktionen, Berlin 2009, S. 31

[5] Diese „Geschichte des Wissens“ bei Foucault hat in einer jüngst erschienenen umfangreichen Untersuchung der Philosoph Pravu Mazumdar entfaltet, dem meine künstlerische Arbeit entscheidende Impulse verdankt: P.M. Der archäologische Zirkel, Bielefeld 2008

[6] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, 292

[7] Andre Malraux, Das imaginäre Museum, Darmstadt 1960

 

(2011)

Heribert Heere

KÜNSTLER

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