Die Menschheit blickt auf eine lange Reihe ihrer Untergänge zurück – von religiösen Visionen bis zu zeitgenössischen Weltuntergangsszenarien in Film und Popkultur. Die Vorstellung vom Ende – sei es als Katastrophe, als Erlösung oder als radikale Transformation – zieht sich durch die Jahrhunderte. Dabei ist sie stets begleitet von künstlerischen, literarischen und musikalischen Bearbeitungen. Die Apokalypse lebt – als kulturelles Grundmotiv und kreative Provokation.
Der ursprüngliche Sinn des Wortes „Apokalypse“ ist dabei alles andere als zerstörerisch.
Das griechische "apokalypto" bedeutet:" ich enthülle, ich offenbare". Für Derrida liegt in seinem Essay "Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie" in der Geste des Entblößens eine tiefere Problematik als in dem, was enthüllt wird. Diese Enthüllung ist nicht neutral – sie trägt eine Schuld, ja sogar eine Bedrohung in sich. Offenbarung ist Macht, nicht bloß Mitteilung. Sie ist Geste, nicht bloß Inhalt.
Ein zentraler Ursprung dieser ambivalenten Geste findet sich in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel. Die göttliche Vision, die der Seher Johannes auf der Insel Patmos empfängt – der wohl nicht mit dem Evangelisten Johannes identisch ist – ist für alle anderen unsichtbar. Der Seher, „vom Geist ergriffen“, soll „das, was bald geschehen soll“, enthüllen. Johannes wendet sich zuerst an die „sieben Gemeinden in Asia“. Es ist Gott selbst, der zu ihm spricht – mit einer „Stimme wie eine Posaune“, sich vorstellend mit der Formel: „Ich bin der Erste und der Letzte.“
Die Beschreibung des göttlichen Erscheinens ist ebenso gewaltig wie symbolisch: „jemand, der einem Menschensohn gleicht, mit Augen wie Feuerflammen, mit Füßen aus Erz und einer Stimme wie das Rauschen vieler Wasser“. (Offb 1,15) Diese Symbolik – die sieben Leuchter, die sieben Sterne, das zweischneidige Schwert aus dem Mund – verdichtet sich zu einer theatralischen Szene der Macht und Ewigkeit. Doch: Die göttliche Rede ist dunkel, mehrdeutig, widerspenstig gegenüber finaler Deutung. Die unzähligen Auslegungen der Apokalypse seit ihrer „Veröffentlichung“ zeugen von dieser hermeneutischen Offenheit – oder vielleicht: von ihrer Unabschließbarkeit.
In Giorgio Agambens „Wenn das Haus brennt“ tritt die Apokalypse wieder auf – nicht als mythologische Zukunft, sondern als brennende Gegenwart. Agamben fragt: Was tun, wenn das Haus schon brennt? – also wenn wir uns nicht mehr im Vorraum einer kommenden Katastrophe befinden, sondern längst in ihren Flammen? Seine Antwort ist eine paradox ruhige: Gerade dann, sagt er, darf das Denken nicht aussetzen. Gerade dann muss man sich nicht retten wollen, sondern „bleiben und schauen“. Ich füge hinzu: Nicht nur schauen, sondern auch bilden.
Apokalyptisches Denken wird für Agamben zur Übung im Gegenwärtigsein – im Dasein angesichts des Unausweichlichen. Der Apokalyptiker ist kein Paniker, sondern ein Zeuge.
Diese Haltung knüpft an Derridas ironische Aufzählung von Endpunkten an: das Ende der Geschichte, des Subjekts, der Religion, der Kunst, der Philosophie – ja sogar des Menschen. Diese „apokalyptische Liste“ offenbart ein tiefes kulturelles Bedürfnis nach finaler Deutung, aber auch die Unmöglichkeit, dieses Bedürfnis endgültig zu stillen. Das Ende wird ausgerufen – nur um kurz darauf in Frage gestellt oder verschoben zu werden.