Ricordi di Venezia

Auf den ersten Blick wirkt die Collage wie eine spielerische Dekonstruktion eines Touristenklischees. Die Rialtobrücke, eines der bekanntesten Motive Venedigs, leuchtet in postkartenhaften Farben vor azurblauem Himmel. Doch das vermeintlich idyllische Bild wird gestört, überlagert, durchkreuzt von unterschiedlichen Materialien: Ein melancholisches, fast sakral anmutendes Gesicht legt sich wie ein Schleier über die Szene; abstrakte Farbflächen, digitale Anspielungen, ausgeschnittene Formen tanzen vor der

Kulisse. Die vertraute Ansicht wird fragmentiert, aber nicht zerstört – sie wird neu gelesen

.

Der Titel „Ricordi di Venezia“ – Erinnerungen an Venedig – deutet zunächst auf Sentimentalität hin. Und tatsächlich: In dieser Collage wird das Sentimentale nicht ausgespart, sondern mit voller Absicht ins Zentrum gerückt. Hier begegnen wir nicht einer nüchternen Analyse des Motivs, sondern einer Auseinandersetzung mit dem, was Venedig in unserer kollektiven Vorstellung geworden ist: ein Ort des Überschusses, der Schönheit, der Verklärung. Die Arbeit verneigt sich nicht vor der Wirklichkeit, sondern vor dem Bild der Stadt, wie es in Erinnerungen, Träumen und Bildern fortlebt.

 

Gerade in ihrer Überhöhung verweist die Collage auf die Wahrheit des Kitsches. Kitsch ist zu viel, zu einfach, zu gefällig – doch gerade im Zuviel liegt eine Sehnsucht, etwas festzuhalten, was sich entzieht. Die Collage erlaubt es sich, nicht ironiefrei, aber auch nicht zynisch, diesem Impuls zu folgen. Sie zeigt ein Venedig, dessen Realität die Irrealität ist. Zwischen dem romantischen Ideal und der visuellen Überdeterminierung öffnet sich ein Raum, in dem Erinnerung und Verlust, Schönheit und Überdruss gleichzeitig Platz finden.

Die Tränen auf dem Gesicht – ein klassisches Motiv, das fast übertrieben wirkt – mag auf den ersten Blick wie ein Zitat erscheinen. Doch sie ist auch ein Geständnis: Dass das, woran wir uns klammern, vergänglich ist. Dass Venedig nicht nur Touristenattraktion, sondern Projektionsfläche unserer eigenen nostalgischen Konstruktionen ist. Und dass genau darin auch  eine Wahrheit liegen kann.

„Ricordi di Venezia“ ist daher nicht nur Satire auf touristische Ikonografie. Kitsch gibt es nur dort, wo Brüche zwischen High and LOw-Culture entstehen. Gerade in seinem scheiternden Bemühen um "Wahres" Sentiment, das oft gekoppelt ist mit Liebesblicken zur Kundschaft, zeigt sich eine komplexe Beziehung des Kitsches zu dem, was der High Culture oft ermangelt.

 

Heribert Heere

KÜNSTLER

Druckversion | Sitemap
© heereart