KI und Co

 

 

Für mich hat die bildgenerierende KI, die ich – überarbeitet – für meine neuen Gemälde und Collagen benutze, nach wie vor eine Faszinationskraft und, zugegebenermaßen, auch eine gewisse Dämonie.
Das Problem von Wirklichkeit und Fake, das heute angesichts der Bildgenerierung mit KI immer wieder beschworen wird, begleitet die Menschheit seit es Bilder gibt. In der archaischen Bildmagie, die bis heute virulent ist, sind Bilder nicht bloß Darstellungen, sondern selbst belebt – sie sind das, was sie zeigen.

Auch die technisch vermittelte Bildherstellung war nie frei von Manipulation: In der Fotografie war es etwa üblich, politisch unliebsame Personen nachträglich wegzuretuschieren. Künstlerinnen und Künstler haben immer die jeweils neuesten technischen Möglichkeiten genutzt – warum sollten sie es mit der KI nicht tun?

 

In der Tat hat die KI-Bildmaschine etwas unheimlich Demiurgisches an sich. Als Gott den Menschen „nach seinem Bilde“ (1. Mose 1,27) schuf, untersagte er zugleich, dass „seine“ Menschen selbst Bilder von ihm machen – also etwas darstellen, das göttlich oder magisch aufgeladen sein könnte (2. Mose 20).

Walter Benjamin unterschied in seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1936) zwischen dem klassischen, auratischen Kunstwerk und den neuen, technisch reproduzierten Medien wie Fotografie und Film. Letztere, so Benjamin, hätten ihre Aura verloren – was er als emanzipatorischen Fortschritt begrüßte. Auch wenn wir diese Einschätzung heute kritischer sehen, bleiben Benjamins strukturelle Überlegungen zum Verhältnis von Original, Reproduktion und Wahrnehmung höchst aktuell.


Der Mensch als Maschine

 

Bereits im 18. Jahrhundert hatte Julien Offray de La Mettrie in seinem Traktat „Der Mensch als Maschine“ (1748) den Gedanken formuliert, dass der Mensch selbst ein komplexes, selbststeuerndes mechanisches System sei. La Mettrie entzaubert die Vorstellung einer unsterblichen Seele und ersetzt sie durch eine radikal materialistische Sicht auf Denken und Empfinden: Bewusstsein als Funktion des Körpers, Geist als Bewegung der Materie.
In dieser Perspektive ist der Mensch bereits eine Art biologische Maschine – eine Vorstellung, die heute in der KI ihre technologische Entsprechung findet. Was bei La Mettrie als provokante Metapher begann, scheint im digitalen Zeitalter konkret geworden: Die Maschine denkt, weil sie rechnen kann – und der Mensch erkennt sich selbst im Spiegel des Algorithmus.


Kreativität als Co-Autorschaft

 

Der Medienkulturtheoretiker Roberto Simanowski hat diese Linie in die Gegenwart der KI fortgeführt. In seinen Analysen (u. a. „Todesalgorithmus. Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Kultur“, 2020) zeigt er, dass KI nicht nur ein Werkzeug ist, sondern eine Mit-Schöpferin, die aktiv am ästhetischen Prozess teilnimmt. Der Künstler wird dabei weniger zum Schöpfer als vielmehr zum Kurator algorithmischer Vorschläge – er wählt, bewertet und kombiniert, was die Maschine generiert. Kreativität wird so zu einem Akt der Selektion, nicht der originären Produktion.

Damit verschiebt sich das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine: Es entsteht eine neue Form von Ko-Autorschaft, in der die Grenzen zwischen menschlicher Intuition und maschineller Berechnung verschwimmen. Doch Simanowski warnt auch vor einer „Ästhetik der Bequemlichkeit“ – einer Versuchung, die kritische Distanz aufzugeben, weil die Maschine bereits ästhetische Entscheidungen vorwegnimmt. Das Dämonische der KI zeigt sich so nicht nur in ihrer schöpferischen Macht, sondern auch in ihrer Fähigkeit, den Menschen unmerklich aus dem Schöpfungsakt zu verdrängen – eine moderne Variante des alten demiurgischen Schreckens.

Gleichzeitig entsteht in dieser Zusammenarbeit etwas Neues: eine Art „Aura der Interaktivität“, die aus der wechselseitigen Reaktion zwischen Mensch und Maschine hervorgeht. Die KI-Bilder sind nicht einfach Reproduktionen, sondern Denkfiguren – sie spiegeln, wie wir uns selbst und unsere Wirklichkeit im Zeitalter technischer Intelligenz imaginieren.


Aufklärung und ihr Schatten

 

In gewisser Weise führt die Künstliche Intelligenz damit das Projekt der Aufklärung weiter – mit all seinen Ambivalenzen. Die Aufklärung wollte den Menschen aus der Herrschaft des Mythos befreien, die Welt rational erfassen und alles Geheimnis durch Wissen ersetzen. Nun hat die Vernunft selbst ein Werkzeug hervorgebracht, das sie übersteigt: eine Maschine, die nicht nur rechnet, sondern gestaltet und spricht.
Was einst als Befreiung gedacht war, kehrt als neue Form der Abhängigkeit zurück – als technologische Magie, die uns zugleich fasziniert und beunruhigt.


„Gnothi seauton“ – Erkenne dich selbst

 

Hier schließt sich ein weiter kulturgeschichtlicher Bogen, der bis zum delphischen Spruch „Gnothi seauton“ – Erkenne dich selbst zurückreicht. Diese Inschrift, die dem Besucher des Apollon-Tempels die Forderung der Selbsterkenntnis auferlegte, wurde zum geistigen Grundmotiv der abendländischen Kultur: vom sokratischen Gespräch über die christliche Gewissenserforschung bis zur neuzeitlichen Reflexion des Subjekts.
Die Moderne hat diese Forderung technisiert – der Mensch erkennt sich nicht mehr im Spiegel der Seele, sondern im Spiegel seiner eigenen Schöpfungen. In der Künstlichen Intelligenz begegnet er nun einem neuen Gegenüber, das ihm sein Denken zurückwirft, als wäre es ein fremdes Wesen.

So zeigt sich die KI als paradoxes Erbe der abendländischen Vernunft: Sie erfüllt den alten Imperativ der Selbsterkenntnis, indem sie uns unser eigenes Denken objektiviert – und zugleich führt sie uns an die Grenze dessen, was Erkennen heißen kann.
Die Maschine der Aufklärung wird so zum Spiegel des Menschen, in dem dieser endlich – und vielleicht erschrocken – sich selbst erkennt.


Meine künstlerische Praxis

 

In meinen neuen Arbeiten, die ich seit 2023 entwickle, nutze ich diesen Spiegel bewusst. Die Vorlagen entstehen in einem langen, experimentellen Prozess mit Hilfe von KI-Systemen. Aus den dabei generierten Bildern, Fragmenten und Störungen forme ich die Grundlage für meine endgültigen Werke – malerisch oder collagistisch weitergeführt, überarbeitet, verwandelt.
Auf diese Weise wird der maschinische Entwurf zum Ausgangspunkt eines erneuten, menschlichen Schaffensakts – ein Dialog zwischen Intuition und Algorithmus, Kontrolle und Zufall, Erkenntnis und Bild.

 

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