Gilles, 2023, Öl/leinwand, 120 x 100 cm
Der „Gilles“, jene entrückte, bleiche Figur aus Antoine Watteaus gleichnamigem Gemälde von ca. 1718, steht exemplarisch für die Ambivalenz zwischen Darstellung und Dasein, zwischen Bühne und Sein. In meinem Bild, das sich dieser ikonischen Figur erneut annähert, erfährt der Gilles eine Transformation: Er wird aus der barocken Schwebe des Rokoko herausgelöst und in ein Szenario überführt, das ganz der Sprache der Gegenwart gehört – malerisch, expressiv, hybrid.
Watteaus „Pierrot“ – auch als „Gilles“ bekannt – war nie einfach nur ein Charakter der Commedia dell’arte, sondern stets ein Grenzgänger: Teil einer grotesken Theaterwelt und zugleich Projektionsfläche für Melancholie, Einsamkeit, stille Revolte. Dieser „Traurige Clown“ steht nicht nur für Maskerade, sondern für eine existentielle Fragilität hinter der Maske. In meiner Arbeit wird dieser Aspekt nicht negiert, sondern radikal erweitert – durch die Konfrontation mit den Zeichenwelten der Popkultur, mit Comicfragmenten, abstrahierter Farbflächenlogik und einem gänzlich unpassenden, überzeichneten Cartoon-Frosch im Vordergrund.
Dieses Gemälde disparater Zeichen evoziert, was man als postmoderne Harlekinade bezeichnen könnte: ein Zustand der Bildwelt, in dem kein Narrativ mehr kohärent bleibt, in dem Zitate, Stile, Zeiten und Medien in einen Zustand der Gleichzeitigkeit und Durchlässigkeit übergehen. Die klassische Bühne der Commedia dell’arte wird abgelöst von einem multimedialen Panoptikum, in dem der Gilles nicht mehr als Subjekt handelt, sondern von den Codes seiner Umgebung überschrieben wird.
Doch bleibt die Figur nicht stumm inmitten des Spektakels. Im Gegenteil: Ihr Blick – jung, fast neutral, schwer zu fassen – richtet sich nicht ins Leere, sondern auf uns, als Betrachter:innen einer Welt, in der sich Präsenz und Zeichenhaftigkeit durchdringen. Hier spiegelt sich die von Hans Ulrich Gumbrecht beschriebene Dialektik von Präsentation versus Repräsentation. Der Gilles erscheint nicht nur als Bildnis, sondern als Reflexion eines Zustands: ein Medium der Verunsicherung und der Suggestion zugleich.
Die überbordenden Farben, die gestische Fragmentierung, die schroffen Übergänge zwischen Figuration und Abstraktion wirken wie malerische Überlagerungen eines medialen Rauschens. Die Einbindung des Froschs – einer Figur aus der visuell übercodierten Welt der Comics oder Kindheitskultur – mag zunächst als ironischer Bruch erscheinen, offenbart jedoch bei näherem Hinsehen die zentrale Frage: Was geschieht mit dem Bild des Menschen, wenn es durch Medien, Zeichen und Masken gefiltert wird? Ist der Gilles noch Individuum – oder nur mehr Residuum eines kulturellen Archivs?
Die Harlekinade war immer auch ein Spiel mit Rollen und Masken, mit Täuschung und Aufdeckung. Im postmodernen Gewand wird dieses Spiel zu einem Bildraum, in dem die Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur, Original und Zitat, Präsenz und Simulation endgültig verwischen. Der Gilles steht dabei nicht am Rand – sondern im Zentrum dieses Spiels. Als stiller Zeuge. Als Hybridfigur. Als letzte Maske des Menschlichen.
Gilles zwischen Narr und Magier – Eine postmoderne Harlekinade
Der „Gilles“ – bei Watteau ein stummer, melancholischer Clown, isoliert inmitten der Bühne des Rokoko – wandert in meinem Werk in eine völlig andere Bildwelt. Hier ist er nicht länger nur der entrückte Pierrot der Kunstgeschichte, sondern tritt als Figur einer postmodernen Harlekinade auf, in der sich historische Masken, volkstümliche Komik und popkulturelle Zeichen in einem vibrierenden Bildraum verschränken.
Hinter dieser Transformation steht die uralte Doppelrolle des Künstlers als Narr und Magier.
Der Pop-Frog, frontal und grinsend, ist dabei mehr als bloße Ironie. Er wird zum Krokodil des Kasperletheaters, zum grotesken Gegenspieler in dieser inszenierten Bildwelt. In seiner lauten, medialen Präsenz kontrastiert er die stille, fast sakrale Entrückung des Gilles. Hier begegnen sich Kindheit und Kunstgeschichte, Oberfläche und Tiefe, Spiel und Schicksal.
In diesem Spannungsfeld verwandelt sich der Gilles in eine Tricksterfigur, eine Grenzgestalt, die zwischen Ernst und Komik, Bühne und Welt vermittelt. Wie der Joker im Kartenspiel entzieht er sich festen Bedeutungen: mal lächerlich, mal tragisch, mal visionär. Er ist der Künstler selbst – wandelbar, unberechenbar, immer auf der Suche nach einer Verbindung zwischen der Welt der Zeichen und der Sphäre der Präsenz.
So wird die Harlekinade zur Metapher des künstlerischen Daseins:
Am Ende bleibt der Gilles ein stiller Mittler zwischen Welten: zwischen der Melancholie der Kunstgeschichte und der Überfülle der Gegenwart, zwischen dem Theater des Lebens und dem magischen Raum des Bildes. In der postmodernen Harlekinade verschmelzen Narrheit und Magie zu einer paradoxen Würde – der Würde desjenigen, der das Spiel mit den Masken beherrscht und gerade dadurch die Wahrheit des Scheins offenlegt.