Alles in allem

In meinem Werk kontrastiere ich Altes mit Neuem, Gegenständliches mit Abstraktem, Triviales mit High Culture, Malerei mit Collage, Natur mit Kultur, Präsenzen mit Absenzen. Es liegt im Wesen der Collage, zuerst die ursprünglichen Zusammenhänge zu destruieren, um sie dann in einen neuerlichen fragilen Kontext zu bringen. Durch die Collagierung verlieren die Bildquellen teilweise ihre ursprüngliche Bedeutung und gewinnen neue unvorhergesehene und unvorhersehbare Sinn-Zusammenhänge, wobei der Sinn im Kunstwerk selbst liegt

Daraus resultiert auch eine Ethik des Werdens und der Metamorphosen.

Jede Collage hat ein spielerisches Zufallsmoment. So hat Schiller in einem berühmten Diktum das ideale Menschsein mit dem Spielerischen gleichgesetzt: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Wenn wir umgangssprachlich „Alles in Allem“ sagen, meinen wir damit „generell“, “im Allgemeinen“, „insgesamt gesehen“, „summa summarum“ oder Ähnliches. Es schwingen in „Alles in Allem“ noch andere Bedeutungen mit, die bis weit in die Anfänge der westlichen Philosophie (und darüber hinaus) zurückreichen. So steckt in „Alles in allem“ auch das „Unum“, das Eine, das seit der frühgriechischen Philosophie das Denken bewegt hat. Doch ist das Eine nur mit dem Vielen zusammen zu denken. Diese Einheit des Vielen hat Kunst – wie antagonistisch auch immer – bestimmt

„Eine kulturelle Identität gibt es nicht“ konstatiert Francois Jullien und bringt stattdessen die „kulturellen Resourcen“ ins Spiel – gegenüber den heute im Schwange befindlichen Fantasien von homogenen, geschlossenen Gesellschaften, oft angereichert mit rückwärtsgewandten Phantasmen. Julliens Pointe ist, dass kulturelle Ressourcen kleinteilig und partikular sind. Sie sind allen zugänglich und nutzbar. Ich sehe in Julliens „kulturellen Resourcen“ eine starke Anregung für mein gesamtes Werk.[2]

Das Konzept des „alles in allem“ betont die Verbundenheit aller Dinge und Menschen trotz der fundamentalen Trennung zwischen Individuen, Objekten oder Phänomenen. Dies beinhaltet auch eine ethische Haltung, da im Grunde alles als Teil eines größeren Ganzen gesehen wird, womit ich jedoch keine bestimmte Hinter- oder Jenseits-Welt meine.

Allerdings ist es schwierig, dieses Ganze zu bezeichnen. Ich gebrauche dafür seit langem den Begriff der „Welt“, so vage und unbestimmt er auch sein mag. Ich habe mich als Künstler immer für Vieles interessiert, was zur Welt gehört – und vielleicht auch außerhalb der Welt fingiert wurde. „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ postuliert Wittgenstein im ersten Satz seines Tractatus logico-philosophicus. Im Folgenden führt er aus, dass wir uns notwendigerweise ein Bild der Welt machen. Bilder sagen etwas über die Welt aus – und nicht nur über sich selbst.

„Alles in allem“ weist auch auf die „Apokatastasis“ hin. Letztere hat ihre Wurzeln im frühen Christentum und im Spätplatonismus. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Wiederherstellung“, „Rückführung in den ursprünglichen Zustand“ oder „All-Erlösung“. Diese Idee war allerdings theologisch umstritten, da sie zu sehr nach einer zyklischen Zeit- und Welterfahrung klang – im Gegensatz zur christlichen Vorstellung einer gerichteten Zeit, die ihr eschatologisches Ende in der Wiederkunft Christi am jüngsten Tag findet.

Demgegenüber wäre die Konzeption des späten Sigmund Freud zu nennen, die er selbst als „Wiederholungszwang“ bezeichnete, der letztlich in einen „Todestrieb“ münden sollte, was verständlicherweise auch umstritten ist. Freud deutet die religiöse Idee einer „Allerlösung“ in die Tendenz eines Rückgang des Lebens in einen ursprünglich allumfassenden anorganischen Zustand, also den Tod, um.

Neuerdings ist jenseits von Selbst-Erlösung und Gnostizismus von einem „subversiven Messianismus“ die Rede. So deutet Giorgio Agamben die messianische „Zeit, die bleibt“ als die Jetztzeit.[3]

Damit will ich weder die Allerlösung noch den Todestrieb noch eine messianische Zeit künstlerisch akzentuieren oder gar inhaltlich ausdrücken. Ich persönlich sehe hier lediglich gewisse Möglichkeiten kulturhistorisch bedeutsamer Seins-Interpretationen. Allerdings bin ich wiederum nicht der Meinung, dass das Kunstwerk lediglich in den Köpfen (und Herzen) der Betrachter existiert, obwohl letztere das Kunstwerk konstituieren – und nicht umgekehrt. „Was wir sehen, blickt uns an.“[4]

Nun mag man mir entgegenhalten, dass Etwas, das alles bedeutet, eigentlich nichts bedeutet. Möglicherweise würde ich mich damit doch wieder dem autonomen Kunstwerk annähern (siehe S.  ). Allerdings scheint es mir ein Unterschied zu sein, ob jenes Alles und Nichts aus einer Fülle oder einer Leere resultiert. Wie man das auch sehen mag: Ein Kunstwerk ist niemals ausschließlich, sondern „einschließlich“.

 

[1] Titel einer Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1975

[2] Francois Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität: Wir verteidigen die Resourcen einer Kultur, Frankfurt 2017

[3] Giorgio Agamben, Die Zeit, die bleibt, Ein Kommentar zum Römerbrief, Frankfurt 2006, S.

[4] Georges Didi-Huberman, Was wir sehen, blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes, München 1999

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