Vera Ikon

Vera Ikon, 2005, Öl auf Leinwand, 200 x 160 cm

 

Meine gemalten verdoppelten Christusköpfe nach El Grecos "Veronika" verweisen einerseits auf das postmoderne Konzept der Verdoppelung, wie es Jean Baudrillard entfaltet hat, andererseits auf das zentrale Erlösungsparadigma des Christentums.

 

Baudrillard argumentiert, dass in der postmodernen Gesellschaft die Simulakren (Kopien, Trugbilder) die Vorherrschaft über die ursprünglichen Realitäten gewinnen. Diese Simulakren sind nicht einfache Kopien der Realität, sondern eigene Entitäten, die als realer als die Realität selbst wahrgenommen werden können. Er beschreibt dieses Phänomen als Hyperrealität, in der Abbilder bzw. Modelle  der Realität zur Realität selbst werden und somit die Grenzen zwischen dem Realen und dem Imaginären sich auflösen. Was aber, wenn das Imaginäre der christlichen großen Erzählung sich selbst verdoppelt? Ein Hyper-Christus?

 

„Nur das Bild kann inkarnieren“ behauptet Marie-Jose Mondzain, da „das christliche Denken zum ersten Mal eine Legitimität des Bildes“ geschaffen habe. Nicht nur habe das Christentum „das Bild von seiner tödlichen und verstörenden Potenz befreit“, sondern ihm eine „rettende, ja sogar erlösende Macht“ verliehen. Nicht nur töte das Bild sein Gegenüber nicht mehr wie die Gorgo Medusa, sondern das Bild bewirke eine „Läuterung von den Mächten der Finsternis“. Nicht mehr, wie bei den Griechen, sei es das „Wort der Tragödie, sondern das Bild, das die Gewalt all unserer Leidenschaften eindämmt“. “Da die Inkarnation Christi nichts anderes ist als das Sichtbarwerden von Gottes Angesicht, ist die Inkarnation nichts anderes als das Bildwerden des Undarstellbaren…Das Bild verleiht einer Abwesenheit Fleisch, das heißt Karnation und Sichtbarkeit in unüberwindlichem Abstand zu dem, was bezeichnet wird."

 

Das „Vera Ikon“, das „Wahre Bild“, ist in der kirchlichen Bildtheologie der Abdruck des sterbenden Christus auf dem „Schweißtuch der Veronika“, wobei „Veronika“ sich direkt von „Vera Ikon“ herleitet, und bezeichnet einen bestimmten Bildtypus, in dem die Heilige ein Tuch präsentiert, auf dem das Porträt Christi erscheint.

Wir haben es hier mit einem sogenannten “Ungemalten Bild“, eben dem Abbild Christi zu tun. Dieses Paradox des gemalten Ungemalten Bildes verweist auf ein die ersten Jahrhunderte des Christentums dauerndes Ringen um das christliche Bild an sich. Die frühen Theologen standen vor dem Problem, dass weder die heidnischen „Götzenbilder“ (simulacra) fähig waren, den christlichen Gott, der Mensch geworden war, zu repräsentieren noch die damals üblichen Totenbilder, die sogenannten Mumienporträts, da Gott „von den Toten auferstanden“ war, also nicht tot war, sondern lebte. Für das repräsentative Bild Christi als Herrscher bot sich das römische Kaiserbildnis an, wie es dann in der Figur des Pantokrator in der byzantinischen Kunst entwickelt wurde, das allerdings nie ganz den Kult verleugnen konnte, der den ersten Christen die Verfolgungen eingebracht hatte.

Es ging also um einen nie ganz gelösten Widerspruch: Einerseits sollte das Abbild Gottes seine ganze Transzendenz widerspiegeln, also nicht bloß das Bild eines jüngeren bärtigen Mannes zeigen, andererseits durfte es nicht die auf es selbst verweisende magische Präsenz haben, wie in den heidnischen Kulten, da im Christentum nicht das Bildwerk, sondern Gott allein Heiligkeit beanspruchte. Modern ausgedrückt, das christliche Bild Gottes durfte weder autonomes Artefakt sein, da es auf die Herrlichkeit Gottes zu verweisen hatte, auch nicht antikes Kultbild, das in der Diktion der frühen Christen bloßes gestaltetes Material war, das auf „Nichts“ (die antiken Götter) verwies, noch konnte es selbst mit heiligem „Mana“ ausgestattet sein, wie Idole und andere Fetische. Da kam die Legende und Begrifflichkeit des direkten Abdrucks des Körpers Christi auf dem Leichentuch, wie bei einer Fotografie, gerade recht, um die Idee der religiösen Verkörperung, der Inkarnation, die so fruchtbar für die weitere Kunst werden sollte, zu veranschaulichen. Die Idee des „Vera Ikon“ wirkt bis heute nach, etwa in der Diskussion um die Simulationskraft des Bildes.

 

 

Die "Medusa Rondanini" in der Münchener Glyptothek diente mir als Bildquelle für meine gemalte Medusa

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Der Mythos der Medusa, deren Anblick versteinert, hat bis heute in Kunst und Literatur zahlreiche komplexe Deutungen erfahren.

 

Was mich immer an der Medusa fasziniert, ist die Macht des Blicks. Sehen und Gesehenwerden sind mächtige, oft gefährliche Akte. In vielen Kulturen gibt es den Glauben an den "bösen Blick", der Unglück bringen kann. Die Versteinerung könnte als eine Rückführung des organischen Lebens ins Anorganische gesehen werden, wie sie Freuds Todestrieb beinhaltet.

 

Die Versteinerung ist aber die materielle Grundlage der meisterhaften bildhauerischen Leistung, die, wie hier bei der Medusa Rondanini, den "toten" Marmorstein in das imaginäre Leben der Kunst verwandelt.

Diese Magie des Ab-Bildes könnte bei aller Gegensätzlichkeit das Gemeinsame sein, das zwischen dem "Abdruck" des Bildes des toten Christus und dem antiken faszinierend häßlich-schönen Bild der Medusa besteht.

 

So wurde das Bild der Medusa an Tempeln, aber auch an antiken Wasserleitungen als Abwehrzauber verwendet.

 

Vielleicht hat jede Gestaltung des Dämonischen und Schrecklichen auch diese "apotropäische" Funktion.

 

Im Übrigen gibt es auch im Alten Testament die Vorstellung, dass Gott nicht mit menschlichen Augen angesehen darf, wenn er Moses als brennender Dornbusch erscheint (Ex 3,1 bis 4,17).

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Medusa Rondanini

Heribert Heere

KÜNSTLER

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