Dionysos

Dionysos ist der Gott, der erscheint. Seine Ankunft, seine Parusie kann man in den verschiedensten Gestalten und Masken verfolgen. So ist sein Kultbild oft eine Maske, die an Bäumen aufgehängt wird; er taucht als ein hölzernes Gesicht aus dem Meer auf; er erscheint als junges Mädchen, als Stier, als Löwe, als Leopard…Doch wie soll man ihn erkennen, seine Masken durchschauen, sein wahres Wesen realisieren? Und wenn unter der Maske wieder eine Maske zum Vorschein kommt?

Damit ist Dionysos paradigmatisch der Gott der Metamorphose, der unzähligen Verwandlungen der an Metamorphosen so reichen griechischen Götterwelt.

 

 

 

Vesuvio, 2022, Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm

 

In meinem Ölbild „Vesuvio“ habe ich die zwei Satyrn von Rubens als Bildquelle zusammen mit einem Pizzabäcker vor der malerischen Kulisse des Vesuvs und des Golfes von Neapel mit einer klassischen Maske rechts unten in Szene gesetzt.

Wer teilt sie nicht, die Italiensehnsucht mit der wohl großartigsten Fast-Food-Erfindung, die auf die alten Römer zurückgeht, die Pizza! Angeblich ist sie an den Küsten des Golfes von Neapel am besten.

Die Satyrn, jene wilden Kerle, ehemals Naturgottheiten, pflegten in mythischen Zeiten die um die heiße Mittagszeit ermatteten Hirten durch ihr plötzliches apotropäisches Erscheinen zu erschrecken. Meistens beruhigten sie sich aber wieder und bliesen ihre „Pansflöte“

So zeigt sich in meinem Bild, dass der in der abendländischen Tradition verankerte Gegensatz von Natur und Kultur durch den modernen Massentourismus und den entsprechenden globalisierten „Mythen des Alltags“ wenigstens imaginär in schönster Harmonie sich auflösen lässt. Das Gleiche könnte auch für die Befriedung des heute sowieso nicht mehr opportunen Gegensatzes von High- und Low Culture gelten – jenseits allen Kulturpessimismus.

 

 

.Dionysos 02, 2021, Acryl/Collage, 100 x 70 cm

 

Der jugendliche Dionysos inmitten klappriger Knochengerüste, überwölbt von einem Putto?

Die Knochengerüste stammen vom Frührenaisance-Maler Luca Signorelli im Dom von Orvieto mit dem Thema der Auferstehung.

Dionysos war ursprünglich eine ländliche Fruchtbarkeitsgottheit, die den Ablauf des Jahres mit immer wiederkehrendem Wachstum der Natur und Ernte begleitete. Eine Erlösungsreligion wie im Christentum war dieser mythischen zyklischen Welt fremd. Es gab aber noch einen anderen Aspekt  dieses vielgestaltigen Gottes, der auch ein Gott der Unterwelt war (siehe obiges Heraklit-Fragment) und der entsprechend der zyklisch aufblühenden und absterbenden Natur starb, um im Frühjahr wieder aufzuerstehen.

Hier deutet sich eine Ähnlichkeit mit Christus an, der ebenfalls starb, um wieder aufzuerstehen?

Könnte man die finale christliche Auferstehung "am Ende aller Tage" in einem ewigen Paradies nicht als eine Weiterentwicklung der für allen frühen Kulturen typischen zyklischen Welt sehen?

 

 

 

Tizian, Bacchus und Ariadne       

 

Gib Liebe mir – wer wärmt mich noch?

wer liebt mich noch?

Nietzsche, Klage der Ariadne

 

Tizians berühmtes Bild „Bacchus und Ariadne“  zeigt den Moment, als die kretische Königstochter Ariadne ihrem Geliebten Theseus auf der griechischen Insel Naxos nachwinkt, der sie eben schnöde verlassen hat und dessen Segelboot man noch ganz links weit draußen auf dem offenen Meer sieht. Erst jetzt scheint sie einen wilden Festzug zu bemerken, der in das gesamte Bild einfällt mit dem jugendliche Gott Bacchus (Dionysos) und seinem Gefolge aus Satyrn und musizierenden Mänaden; nicht zu vergessen den kleinen Spaniel im Vordergrund. Der bärtige Satyr rechts ist von Tizian der hellenistischen lebensgroßen Laokoon-Gruppe entlehnt worden, die 1506 entdeckt und bewundert wurde.

Gotthold Ephraim Lessing war, wie viele andere auch, von der Gruppe so beeindruckt, dass er sie in seinem Essay „Über die Grenzen von Malerei und Poesie“ von 1766 beispielhaft erwähnte, um seine Theorie der Unvereinbarkeit von bildender Kunst und Literatur zu belegen – im Gegensatz zu Johann Joachim Winckelmann. Lessing ist damit ein früher Theoretiker des autonomen Kunstwerks gegenüber einer, wie man heute sagen würde, narrativen Theorie des Kunstwerks.

 

Nach der Legende warnte der trojanische Priester Laokoon seine Trojaner davor, das hölzerne Pferd, das die Griechen als scheinbares Friedensangebot vor den Toren Trojas zurückgelassen hatten, in die Stadt zu bringen.

Weil er gegen den Willen der Götter gehandelt hatte, die auf der Seite der Griechen standen, wurde Laokoon zusammen mit seinen zwei Söhnen von zwei riesigen Meerschlangen getötet. Die antike Skulpturen-Gruppe zeigt den Moment des Todeskampfes von Laokoon und ist heute als eines der Hauptwerke in den vatikanischen Museen in Rom zu bewundern.

Diesen agonalen Kampf deutet Tizians Figur in eine ekstatische Szenerie um, in der die Schlangen wie ein theatralisches Accessoir wirken. Die zwei Geparden, die den Festzug des Gottes ziehen und die im Mythos noch Tiger waren, verweisen auf die mythische Herkunft von Dionysos aus Indien. Zwischen Ariadne und Dionysos „funkt“ es - und hat bis zur Moderne viele Künstler, Dichter und Komponisten inspiriert, z.B. Richard Strauss für seine Oper „Ariadne auf Naxos“.

„Wir alle kennen das Vorspiel dieser Geschichte. Jene Erzählungen vom Labyrinth des Kreter-Königs Minos, der einer der Söhne des Zeus war, die der mit Europa hatte. - Kreta, das „Land im dunkelwogenden Meere"', wie es in der Odyssee heißt, wir erinnern uns, birgt düstere Erbschaft, rätselhafte Verhältnisse; alle dort würden lügen und - wen wundert's, dort ein Labyrinth zu finden.“ bemerkt dazu Steffen Dietsch.

 

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