Mythen

„Mythos“ bedeutet ursprünglich nur „Erzählung“, die von Göttern und Menschen handelt und gilt als ursprüngliche Form, aus der sich dann der „logos“, also das „rationale“ Denken einerseits und die heutigen Religionen andererseits entwickelt haben. 
Dass Bildwerke keine Abbildungen, sondern Verwandlungen sind, war für die Kunst selbstverständlich, solange sie noch keine war: die frühesten Tier- , Tiermenschen-, Masken- und schließlich Götter-Darstellungen sprechen eine bildhafte Sprache. Das „Faszinierende und das Schreckliche“, wie man frühe Religionen charakterisiert hat (Rudolf Otto), dürfte genauso auf deren versprengte Relikte, die inzwischen Kunstwerke geworden sind, zutreffen (was übrigens auch ein Akt der METAMORPHOSE ist).

 

Mythos und Moderne – ist das nicht ein Widerspruch in sich? „Mythos versus Logos“ so lauten die Devise und Kritik und Antikritik sowohl des Logos wie des Mythos und machen deren Diskussion zu einer der nachhaltigsten der Moderne.

Als Auslöser dieser Debatte hat man einen kurzen Text ausgemacht, der, erst 1917 publiziert, vermutlich vom jungen Hegel, unter möglicher Mitarbeit seiner damaligen Freunde Schelling und Hölderlin, aus dem Jahre 1796/97 stammt und dem man den Titel „Ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus“ gegeben hat.

In diesem Text geht es um nichts Geringeres als um das „letzte und größte Werk der Menschheit“: die absolute Entfaltung des freien Menschen, die nur als Befreiung vom „technischen Räderwerk“ des Staates möglich sei. Mittel dazu sei der „höchste Akt der Vernunft“; gleichbedeutend mit einem „ästhetischen Akt“:

"Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen    eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muss im Dienste der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden. Ehe wir die Ideen ästhetisch, d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse, und umgekehrt: ehe die Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, um das Volk vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen."

Das Organon dieses ästhetischen Aktes sei die die menschliche Einbildungskraft. Es geht den Verfassern nicht nur um einen Re-Mix längst vergangener mythischer Strukturen, sondern um eine „Neue Mythologie“, eine „Mythologie der Vernunft“. Man erkennt darin sehr viel von jüngerer radikaler Vernunftkritik an der Maschinerie eines „Systems“ wieder, das die Phantasie zupflastere und zubetoniere. Demgegenüber wird der „ästhetische Akt“ als eine „organische Einheit in der unendlichen Fülle“, als die Fähigkeit zu einem „kombinatorischen und analogischen Geist“ gesehen, wie von Friedrich Schlegel gefordert.

 

Friedrich Voßkühler hat in einer großangelegten Untersuchung die „Kunst als Mythos der Moderne“ ausgeführt[. Damit wird jene noch vielerorts vorherrschende Meinung, moderne Kunst sei trotz ihrer Irrungen und Wirrungen antizipierender Logos im Gegensatz zum dunkeln und dunkelsten Mythos und Pseudo-Mythos, selbst in das Reich der Fabel verwiesen.

Doch, „eben im Untergang der Götter liegt die endgültige Chance des Menschen“ stellt Hans Blumenberg in seiner „Arbeit am Mythos“ fest, als deren Quintessenz er folglich die Parole „den Mythos zu Ende bringen“ ausgibt. Ausgehend von Schlegels Philosophem einer „Neuen Mythologie“, einer „Mythologie der Vernunft“ folgert Blumenberg, dass, „wenn die Hypothese an die Stelle des Mythos getreten sein sollte und Physik an die Stelle der Genealogie der Götter, der entscheidende Kunstgriff der Romantiker darin bestanden habe, die naiv scheinende Frage zu stellen: „Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen sei“, eben „eine neue Versöhnung von Poesie und Wissenschaft“. Deshalb sei die Ursprungsfrage entscheidend, als deren Kriterium er die „Bedeutsamkeit“ fasst, die durch folgende „Wirkungsmittel“ gekennzeichnet sei: Gleichzeitigkeit, latente Identität, Kreisschlüssigkeit, Wiederkehr des Gleichen, Reziprozität von Widerstand und Daseinssteigerung, Ausschließlichkeit gegen jede konkurrierende Realität.

 

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