Carnevale

Das Wesen des Karnevals ist das Fest der sich regelmäßig erneuernden Zeit, indem dieser nicht nur in der Zwischenzeit des Jahreswechsels stattfindet, sondern selbst zu einer Zeit des Dazwischen wird. Dadurch wird der Karneval „zu einem Feiern des Abschnitts, in dem das Universum aus den Fugen gerät, in dem die gewöhnliche Ordnung der Dinge sich in ihr Gegenteil verkehrt, wo der Kosmos zum Chaos wird“[1].

Aus dem masken- und fratzenhaften, leicht komisch wirkenden Ausdruck des Pulcinella spricht durch die Volkstümlichkeit hindurch noch ein ursprünglicher faun- und satyrhafter Charakter.[2] Dass im karnevalistischen Rollentausch schon in den frühen mesopotamischen Hochkulturen eine „verkehrte Welt“ – auch im kosmologischen Sinne – sich widerspiegelte, führt uns zu dessen orgiastischem und exzessivem Charakter.

Florens Christian Rang hat in einem wortmächtigen Essay vorgeschlagen, die „verkehrte Welt“ des Karnevals als exzessives dionysisches Opferfest zu begreifen, in dessen ekstatischem Verlauf der Ordnung, die aus dem „gestirnten Himmel“ stammte, rauschhaft Hohn gelacht wurde. „Durch das Kalender-Loch der Unordnung brach der Triumphzug des Dramas der Außerordentlichkeit.“[3] Rang folgert aus diesem karnevalistischen temporären Aufbegehren, diesem „verzweifelten Mut, Komödie zu spielen“, „dass überhaupt die moderne Freiheit des Geist- und Seelenlebens in die Zeit gesprungen ist als Faschings-Bocksprung und –Freisprung“. Diese Herleitung der Welt aus dem Geist der Karnevals-Exzesse steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem gesitteten Verhalten von Adam und Eva nicht nur in ihrem relativ kurzen Aufenthalt im Paradies, sondern vor allem in ihrem Exerzitium der Erbsünde: das Stattgeben der Verführung zum Apfelbiss, das peinliche Bewusstsein der Nacktheit, der dann Gott trotz seines Zorns abhalf, indem er selbst Fell-Kleider zur Verfügung stellte und sie dem Ur-Paar sogar eigenhändig anzog[4].

 


[1] Ibid. S. 17f

[2] Albrecht Dieterich, Pulcinella, S. 233ff

[3] Florens Christian Rang, Historische Psychologie des Karnevals, Berlin 1983, S. 23

[4] Gen 3, 21

Heribert Heere

KÜNSTLER

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