Versuchung des hl. Antonius

 

Nachdem wir nun schon länger in der Zeit nach der totalen Befreiung leben, in jener „Agonie des Realen“, die Jean Baudrillard etwas vorschnell ausgerufen hat, ist sowohl Widerstand als auch Nachgeben als kollektives Muster angesagt. Im Grund sind wir, was die Versuchung anbelangt, insgeheim alle Dandys geworden und befolgen Oscar Wildes Dictum: „Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht“. Diese ist natürlich keine zerknirschte Selbstkritik (sonst wäre sie ja nicht witzig), sondern im Gegenteil die Bereitschaft, jeder Versuchung nachzugeben. Oscar Wilde hat damit in unnachahmlicher Weise die Dialektik der Versuchung ausgedrückt, nämlich ihr chimärisches Dasein zwischen Sein und Nichtsein. Versuchung kann überhaupt da nur greifen, wo sie schon gesiegt hat: Wer an sich immun gegen die Versuchung ist, kann gar nicht versucht werden. Deshalb ist die Versuchung Christi durch den Teufel eigentlich unverständlich.

Die „Versuchung des hl Antonius“ ist nichtsdestotrotz eines der beliebtesten Themen der Kunst: Sowohl der Asket selbst wie auch der Künstler als sein Doppelgänger leben aus dem Spiel von Widerstand und Nachgeben, allerdings in phantasmagorischer Weise. Damit ist das paradoxe Wesen (oder Unwesen) zwischen Erscheinung und Wahrheit, eben die Dialektik des Bildes, paradigmatisch zum Ausdruck gebracht.

 

"Heuchler, der sich in die Einsamkeit vergräbt, um desto ungestörter seine Triebe zu befriedigen! Du verzichtest auf Fleisch, Wein, Bäder, Sklaven, Ehrungen; aber in deiner Phantasie berauscht du dich an Gelagen, Parfüms, nackten Frauen und jubelnden Mengen! Deine Keuschheit ist nur eine subtilere Art des Lasters, und deine Weltverachtung nur die Ohnmacht deines Hasses auf sie!"  (Gustave Flaubert, Die Versuchung des heiligen Antonius)

 

Diese Vorwürfe schleudert in Gustave Flauberts „Die Versuchung des heiligen Antonius“ Hilarion, ein ehemaliger Schüler des Asketen und von Flaubert in subtiler Provokation mit dem Teufel und der Wissenschaft identifiziert, dem Heiligen entgegen, der darauf nur in Schluchzen ausbrechen kann. Wir sollten aber mit dem heiligen Asketen nicht so sehr ins Gericht gehen, verdanken wir ihm doch nicht nur die Thematik an bildgewaltigen Erfindungen von Bosch über Grünewald bis in die Moderne, sondern auch jenen Roman von Flaubert mit einem berühmten Nachwort von Michel Foucault.

 

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